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Hochschulreform

"Brecht die Tabus!"

Thesen zur Hochschulreform von Universitätspräsident Prof. Dr. Michael Daxner

Bundeswissenschaftsminister Rüttgers lud im November eine kleine Runde von Hochschulexperten in das Palais Schaumburg, um mit ihnen eine Neufassung des Hochschulrahmengesetzes zu diskutieren. Unter den Eingeladenen war auch Universitätspräsident Prof. Dr. Michael Daxner, der als einer der heftigsten Verfechter einer radikalen Hochschulreform gilt. "Die Zeit" veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 22. November 1996. Nachfolgend die Thesen Daxners zu einer grundlegenden Hochschulreform unter der Überschrift "Brecht die Tabus"

Status der Hochschulen

Das HRG ist überarbeitungsbedürftig vor allem in Hinblick auf den Status von Hochschulen und ihrer Handlungsfähigkeit. Sie sollten nicht weiter einen Doppelcharakter als Körperschaft und zugleich Einrichtung des Staates haben, sondern geschäftsfähige Körperschaften sein - unter bestimmten staatlichen Auflagen und Aufsichtsrechten.

Autonome Lenkungsinstanzen

Bundesweit, aber auch landesweit müssen autonome Lenkungsinstanzen geschaffen werden, sogenannte Buffer-Institutionen (BI), für alle Akkreditierungs- und Haushaltsmechanismen. Auf den ersten Blick bedeuten solche Instanzen eine zusätzliche Bürokratisierung. Aber diese ist notwendig unter der Prämisse, daß spätestens 2005 alle Hochschulen echte Globalhaushalte haben und daß die einzelnen Wirtschaftskreisläufe von der Jährlichkeit der Haushaltsgesetzgebung abgetrennt werden müssen. Die BI bearbeiten, filtern, kontrollieren die Bedarfsanmeldungen zu den Wirtschaftsplänen, koordinieren die Entwicklungsplanungen und führen die Haushaltsverhandlungen global für die ihnen zugeordneten Hochschulen. Damit werden bisher zentrale Funktionen der Ministerien von den BI übernommen. Innerhalb so geschaffener "dezentraler Systeme" sind Indikatorregelungen, Vergleichbarkeit und optimale Ressourcennutzung zu erwarten. Vorbilder könnten die - bereits seit langem arbeitenden und mehrfach analysierten - Universitätssysteme in den USA oder die neue britische Lösung sein.

Personalstruktur

Die derzeitige Personalstruktur ist eine gewaltige Ressourcenverschwendung an menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten, investierten Qualifikationskosten und letztlich an Forschungs- und Ausbildungsqualität. Nirgendwo hat sich die negative Seite des deutschen Hochschulmodells so unvorteilhaft verfestigt wie in dem leistungs- und kontrollfeindlichen Aufbau der wissenschaftlichen Berufslaufbahn auf Hochschulebene. Für diesen Bereich sollte davon ausgegangen werden, daß wissenschaftliche Arbeit Besonderheiten aufweist, die weder durch das Beamtenrecht noch durch den BAT voll berücksichtigt werden. Für eine Übergangszeit zu einem eigenen Hochschuldienstrecht sollte wenigstens gewährleistet sein, daß Berufungen voll in die Kompetenz der Hochschule fallen, daß wesentliche Anteile der Besoldung leistungsbezogen sein sollen und daß Besoldung und Ausstattung regelmäßigen Überprüfungen mit Sanktionen unterworfen werden.

Das ändert nichts an dem Grundsatz, daß für wissenschaftliche Arbeit und die damit verbundene Unabhängigkeit ab einer bestimmten Qualifikation dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse unverzichtbar sind. Die Anstellungskriterien für die Hochschulen sollten daher auch in dieser Hinsicht flexibel sein, unter anderem, um zu viele "Projektkarrieren" teuer ausgebildeter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu vermeiden. Das HRG sollte nur vorschreiben, in welchen Bereichen konkrete Qualifikationen für bestimmte Positionen nachgewiesen werden müssen, aber die Ausgestaltung und Interpretation derselben den Hochschulen überlassen.

Um einerseits die Zeitstellendauer zu flexibilisieren, andererseits die Herausbildung zu vieler Standeshierarchien zu verhindern, sollten im HRG deutlich weniger Beschäftigungsformen beschrieben sein als heute, etwa nur noch Hochschullehrer und wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter.

Studienreform

Im Bereich der Studieninhalte und -reformen sollten wenige Regulierungen erfolgen, aber bestimmte Prinzipien verstärkt werden (zum Beispiel Auslandsstudien) und bestimmte Strukturen explizit gefördert werden (zum Beispiel Modularisierung). Wie das Prinzip, daß nicht für Prüfungen gelernt werden soll, sondern daß diese diagnostische und studienfördernde Wirkung haben sollen und erst im Abschluß lizensieren und testieren, im Gesetz geregelt werden soll, ist mir noch nicht ganz klar. Sicher ist aber, daß die Prüfungsordnungen nicht den dominierenden steuernden Effekt haben dürfen, den sie jetzt noch haben. Die Unterscheidung zwischen Staats- und Hochschulprüfungen soll wegfallen.

Zunächst ausgeklammerte Punkte

Es ist kein Versehen, daß ich drei Bereiche hier nicht angesprochen habe: So ist es nur scheinbar paradox, wenn ich vorschlage, Fragen der Hochschulfinanzierung erst nach Vorlage der inhaltlichen Vorstellungen zu diskutieren. Es gibt gar nicht so viele praktikable Varianten, deren Durchsetzungsfähigkeit aber nachhaltig von der Überzeugungskraft der inhaltlichen Vorschläge abhängt. Tabu für die Diskussion muß sein: "Das ist aber nicht finanzierbar."

Was die Auslandsattraktivität betrifft, so würde sich der hierzu notwendige Expertenkreis zu sehr unterscheiden von den übrigen potentiellen Mitdiskutanten. Gleichwohl ist das Thema brennend, denn daß wir an Boden verlieren, beantwortet noch nicht, warum wir es tun und was als Gegengewicht anzusehen ist. Hier geht es auch um höchst sensible Fragen, wer wie im Ausland mit dem deutschen Hochschulsystem befaßt ist und identifiziert wird. Einzige Ausnahme: Auslandsstudium und baldige Reform von Bafög zur Förderung und nicht zur Behinderung derselben.

Eine der übelsten Erfahrungen unseres gesamten Diskussionsprozesses ist, daß jeder Reformvorschlag von seinen Gegnern sofort mit dem Hammer der Rechts- und gar Verfassungswidrigkeit geprügelt wird. Deshalb muß ein weiteres Tabu gebrochen werden: "Das ist verfassungswidrig" ist während der Klausurdiskussion kein Argument. Ob solcherart überhaupt geprüft wird, kann allenfalls bei Vorliegen eines konsistenten Konzepts entschieden werden und jedenfalls nicht als rhetorisches Instrument dauernd zensorisch wirken.


(Stand: 19.01.2024)  | 
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