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Wissenschaft und Forschung

"Interessante Rolle des öffentlichen Intellektuellen

Jürgen Habermas im überfüllten Audimax / Von Reinhard Schulz*

Selbst die Pfingstferien konnten nichts daran ändern, daß die große öffentliche Vorlesung mit Jürgen Habermas aus Anlaß der Karl Jaspers Vorlesungen am 3. Juni im gerade eröffneten neuen Hörsaalgebäude der Universität zu einem regionalen Großereignis wurde. Schon lange vor Veranstaltungsbeginn waren alle Sitzplätze vergeben, selbst reservierte Plätze konnten nicht verteidigt werden, was u. a. den Präsidenten der Universität und den Generalsekretär der Stiftung Niedersachsen zwang, auf dem Fußboden Platz zu nehmen. Und die dichtgedrängte Schar weiterer junger und älterer Zuhörerinnen und Zuhörer auf Treppen, Fensterbänken und Fußböden zeigte, daß Habermas in Deutschland in einzigartiger Weise die selbstdefinierte "interessante Rolle des öffentlichen Intellektuellen" repräsentiert. Dadurch wurde sichtbar, wie "Philosophie unmittelbar politisch wirksam werden könnte", aber Habermas stellte mit dem Vortrag "Hermeneutische versus analytische Philosophie - zwei komplementäre Spielarten der linguistischen Wende?" seine Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine sehr harte Probe. In den großen Linien einer von Humboldt über Wittgenstein bis zu seinem Frankfurter Kollegen und Freund Karl-Otto Apel reichenden Denktradition versuchte er das Fundament einer pragmatisch gewendeten Hermeneutik freizulegen, der er allein zutraut, in "Arbeitsteilung mit der Gesellschaftstheorie", die durch "Märkte und Bürokratien" gefährdete gesellschaftliche Integration voranzutreiben. Die Ambivalenz der damit angesprochenen Problematik wird vollends deutlich, wenn z. B. die so kritisierte Medienmacht in Gestalt von Radio Bremen allein gewährleistet, daß die schwer verständliche Vorlesung von nun an unter: http.//www.radiobremen.de/rbtext/rb2/-projekte/habermas/frameset.htm. nachgelesen werden kann. Ob allerdings das Interesse an Habermas' Vorlesung am heimischen Bildschrim ähnlich groß ist wie seine authentische Präsenz an diesem Mittwochnachmittag, bleibt abzuwarten. Die Verkaufszahlen seiner Bücher am parallel dargebotenen Büchertisch und die Ausleihhäufigkeit in der Bibliothek sprechen nicht unbedingt dafür.

 Die sich mit dem Jaspers Vorlesungen verknüpfenden Erwartungen des Instituts für Philosophie, nämlich sowohl die inner- wie außeruniversitäre Öffentlichkeit anzusprechen, haben sich indessen voll erfüllt. Wann hat man schon einmal nach einer Veranstaltung so viele über das weitläufige Foyer des Hörsaalgebäudes verteilte intensiv diskutierende gemischte Kleingruppen gesehen, die noch dazu durch die unauffällige aber wirklungsvolle Versorgung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Studentenwerks Oldenburg bei Laune gehalten wurden.

 Bedauerlich ist, daß der schon im vergangenen Jahr bei der Vorlesung von Quine zu beobachtende Effekt, daß viele offenbar vor allem wegen des Vortragenden und vielleicht weniger wegen des Inhalts gekommen waren, auch in diesem Jahr zu beobachten war. Denn unmittelbar nach dem Vortrag von Habermas verließ etwa ein Drittel des Publikums das elektronisch schlecht belüftete Audimax. So sind ihnen z. B. neben der Verleihung des Karl Jaspers Förderpreises der Stiftung Niedersachsen an den hervorragenden Habermasschüler Dr. Lutz Wingert aus Frankfurt auch dessen spitzfindige Frage an Habermas, ob die linguistische nicht eigentlich die idealistische Wende sei, oder die Bedenken der analytischen Philosophin Prof. Wolf aus Mannheim in der anschließenden Podiumsdiskussion, ob das Kognitive der Pragmatik vorausgehe oder umgekehrt, nebst Habermas' Antworten entgangen. Auch das druckvolle Spiel der Universitäts-Bigband hätte sicherlich bis zum Schluß die volle Aufmerksamkeit verdient. Dennoch ist eine über dreieinhalb Stunden bis zum Schluß noch ca. 600 Personen umfassende Zuhörerzahl ein großer öffentlicher Erfolg.

Ein anderer Habermas präsentierte sich dann einen Tag später im Bibliothekssaal einem durch vorherige Textlektüre vorbereiteten Auditorium . Die von Prof. Thomas Blanke (FB 4) moderierte Fragestunde, wurde von ca. 150 sehr aufmerksamen Zuhörerinnen und Zuhörern aus den Vorbereitungsseminaren zu Habermas in diesem Semester verfolgt. Im Mittelpunkt stand die Diskussuon des Habermas-Textes "Richtigkeit versus Wahrheit. Zum Sinn der Sollgeltung moralischer Urteile und Normen", der in der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie" veröffentlicht werden soll. Habermas versucht dabei eine kognitivistische Moralauffassung als bessere Alternative gegenüber Nonkognitivmus und Kotextualismus herauszustellen. Im Unterschied zu einer auf die äußere Realität bezogenen Erkenntnistheorie verfügt die Moraltheorie über keine Ontologie. Habermas versucht dennoch in Analogie zur Erkenntnistheorie auch moralische Fragen in Ja/Nein-Alternativen zur überführen und damit wahrheitsfähig zu machen. Im Verlaufe einer dreistündigen intensiv geführten Diskussion beschrieb Habermas seine Diskurstheorie u. a. als "Problematisierungsentsorgungsmaschinerie" und wies gegenüber hartgesottenen Naturalisten darauf hin, daß in einer an den Naturwissenschaften orientierten Erkenntnistheorie, die sich allein für die Wahrheit als zuständig erklärt hat, das performative Scheitern der Realität im Experiment auch nur simuliert wird.

Es war bei dieser Gelegenheit für alle Beteiligten ein Erlebnis, dem um der Sache selbst willen philosophierenden Habermas auch dann zuzuhören, wenn man seinen Standpunkt nicht unbedingt teilen mochte. Viele Gespräche danach haben mir bestätigt, daß die Persönlichkeit von Habermas und seine freundliche und humorvolle Art trotz seines kurzen Aufenthalts viele Anwesende überzeugte.

Allein dies rechtfertigt es, am Konzept der öffentlichen Vorlesung auch in den nächsten Jahren festzuhalten und der Stiftung Niedersachsen dafür zu danken, daß sie sich Oldenburg für dieses und künftige Ereignisse dieser Art ausgesucht hat. Bleibt der Wunsch, daß die Lehrveranstaltungen des Preisträgers Lutz Wingert nach dem Wintersemester (zwei Blöcke vom 24.2-26.2.und 3.3.-5.3.1999) eine breite Resonanz bei den Studierenden finden möge und damit die akademische Auseinandersetzung über das schnell vergehende öffentlichkeitswirksame Großereignis hinaus nicht vergessen wird.

 * Dr. Reinhard Schulz ist der Geschäftsführer der Karl-Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit.

Wenig Gift im Jadebusen

Terramare erforschte Kohlenwasserstoff-Belastung durch industrielle Einträge

Trotz der Aktivitäten von chemischer und petrochemischer Industrie und des regen Tankerverkehrs kommen im Jadebusen die stark gesundheitsschädlichen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) nicht in erhöhten Mengen vor. Dies ist das Ergebnis einer am Forschungszentrum Terramare in Wilhelmshaven durchgeführten Studie. Terramare ist ein Zusammenschluß der meeresforschenden Institute Niedersachsens, dem auch die Universität Oldenburg angehört.

 Im Rahmen ihrer Dissertation beprobte die Chemikerin Eva Rinne zwischen Mai und Oktober 1997 58 Orte zwischen einer etwa sechs Kilometer ostnordöstlich der Ostspitze Wangerooges gelegenen Station und dem Wilhelmshavener Nassauhafen. Von großem Interesse waren die Ergebnisse auch für die Nord-West Ölleitung (NWO), die sich finanziell an den Untersuchungen beteiligte. Entsprechend lagen 35 Probenahmestationen im Bereich der Löschbrücken für die in Wilhelmshaven ansässige chemische und petrochemische Industrie. An der NWO-Löschbrücke, an der in den 40 Jahren ihres Betriebes bisher 685 Millionen Tonnen Mineralöl umgeschlagen wurden, gab es, wie an fast allen anderen Meßpunkten auch, keinen Hinweis auf Spuren von PAK durch die industriellen Aktivitäten in diesem Bereich. Vielmehr ließ sich in 86 Prozent der Proben ein atmosphärischer Eintrag der PAK nachweisen. Lediglich auf Höhe von Minsener Oog wurde ein geringer Öleintrag nachgewiesen, der vermutlich auf Schiffsverkehr zurückgeht.

 Zu den PAK zählen stark krebserregende Substanzen wie etwa Benzpyren, das auch im Zigarettenrauch zu finden ist. Sie entstehen bei allen unvollständigen Verbrennungsprozessen. Auch durch Öleinträge können PAK in die Umwelt gelangen. Mit den gemessenen Werten erhielt Terramare Vergleichswerte zu einer vor der brasilianischen Hafenstadt Salvador durchgeführten Untersuchung. Die dort ermittelten Daten lagen bis zu 40 Prozent über denen des Jadebusens.

Sibet Riexinger

Deutschland zur Zeit Hitlers

Biographieforschung über deutsche EmigrantInnen

Die Biographien von EmigrantInnen die während der NS-Zeit Deutschland verlassen mußten, stehen im Mittelpunkt von zwei Forschungsprojekten an der Universität Oldenburg. Sie werden von dem Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Detlef Garz (Arbeitsstelle "Forschungsgruppe Entwicklung und Erziehung" am Fachbereich 1 Pädagogik) geleitet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert. Die Biographien wurden 1940 aufgrund eines 'wissenschaftlichen Preisausschreibens' der Harvard Universität (USA) gesammelt und bisher nicht systematisch ausgewertet und bearbeitet.

 WissenschaftlerInnen aus den Fachgebieten Psychologie, Geschichte und Soziologie baten seinerzeit Personen, "die Deutschland vor und zur Zeit Hitlers gut kennen", einen Bericht über ihren Lebensweg und ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse zu erstellen. Es wurden ca. 260 Manuskripte eingereicht, die Einblicke in das Leben deutschsprachiger EmigrantInnen zwischen 1880 und 1940 gewähren. Für das DFG-Projekt stehen 180 Manuskripte aus dem Archiv der Harvard Universität zur Verfügung. Die Verfasser sind überwiegend Akademiker (vor allem Ärzte, Juristen, Pädagogen etc.).

 Anhand des Materials werden die Erfahrungen der EmigrantInnen mit dem nationalsozialistischen Regime rekonstruiert. Die Lebenspraxis und die Alltagserfahrung der jüdischen bzw. von den Nationalsozialisten als nicht arisch definierten Menschen werden in der Analyse der Lebensbeschreibungen aufgedeckt. Das Nebeneinander und Ineinandergreifen von Zwangsmaßnahmen und verbliebenen Partizipationsmöglichkeiten, die Veränderungen in der Alltagskultur, den Wertorientierungen und den Bewußtseinslagen kommen in den Aufzeichnungen zum Ausdruck und können einer sozialwissenschaftlichen Analyse sowohl von Verarbeitungsmechanismen als auch von Auswirkungen auf biographische Verläufe dienen.

Zwei der Manuskripte werden im Rahmen von Einzelfallstudien bearbeitet. Diese rekonstruieren das Leben des Emder Arztes Dr. Julian Kretschmer und der Ärztin Dr. Paula Tobias, die zuletzt in Bevern bei Holzminden praktizierte. Darüber hinaus entsteht eine sozial-historische Studie, die das Alltagsleben im Nationalsozialismus in seinen unterschiedlichen Facetten dokumentiert.

"Aktionsforschung"

Tagung mit Altrichter über Schulentwicklung

Die Rolle der Aktionsforschung bei der Schulentwicklung war Thema einer Tagung im Mai in der Universität, an der Angehörige des Didaktischen Zentrums sowie Schulleiter und Schulaufsichtsbeamte teilnahmen. Die Tagung wurde von dem renommierten österreichischen Aktionsforscher Prof. Herbert Altrichter (Universität Linz) geleitet. Der Pädagoge hat in der Vergangenheit maßgeblich zur Entwicklung eines Konzepts praxisbezogener Unterrichtsforschung an der Universität Oldenburg beigetragen, was mit innovativen Impulsen für eine Reihe von Schulen in der Region verbunden war.

 Auf der Fachtagung ging es u.a. darum, wie Einstiege in Schulentwicklungsprozesse gestaltet werden können und wie man zu relevanten Themenschwerpunkten kommt. Altrichter zeigte auf, welche Forschungsfragen und -methoden sich anbieten, wenn nicht der eigene Unterricht, sondern der Entwicklungsprozeß einer ganzen Schule erforscht werden soll. Des weiteren ging es um die Frage, wie sich LehrerInnen für die Erforschung von Schulentwicklungsprozessen qualifizieren können.

 Das an der Universität praktizierte Konzept sieht vor, daß in Seminaren (Prof. Hilbert Meyer, FB 1) aus Studierenden und mitwirkenden LehrerInnen bestehende Teams gebildet werden, die aktuelle Fragestellungen aus der Schulpraxis erforschen. Für die Studierenden eröffnet sich damit eine Möglichkeit, Einblicke in Forschung und in wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung zu bekommen.

 Altrichter bewertet den Oldenburger Ansatz überaus positiv: "Der Lehrerberuf ist ein komplexer Beruf, in dem man nur dann längerfristig sinnvoll handeln kann, wenn man eine forschende Einstellung gegenüber seiner Praxis aufbringt. Im Teamforschungskonzept kann man die Fähigkeit, praktisch tätig zu sein, aber seine eigene Praxis auch zu reflektieren, in Zusammenarbeit mit LehrerInnen erwerben. Für mich ist das ein wesentliches Element von Lehrerausbildungsprogrammen.

Birgit Glindkamp


(Stand: 19.01.2024)  | 
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