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Vom Schulmeisterseminar zur Reformuniversität

Die Gründung der Universität Oldenburg: Gegensätzliche Vorstellungen und finanzielle Restriktionen machen den Anfang schwer (Teil 1)*

Wie kam es zur Gründung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, welche Hürden waren zu überwinden, wie ist das Ergebnis zu bewerten? Unter diesen Fragestellungen steht folgender Aufsatz von Prof. Dr. Hilke Günter-Arndt*), den sie aus Anlaß der 25-Jahr-Feier verfaßte. UNI-INFO druckt den Aufsatz in mehreren Folgen ab.

Die Gründungsgeschichte der Universität Oldenburg beginnt im 18. Jahrhundert, im Jahre 1793, als Peter Friedrich Ludwig, Herzog von Holstein-Gottorp und seit 1785 regierender Administrator im Herzogtum Oldenburg, die Errichtung eines Schulmeisterseminariums genehmigte. Ohne dieses Schulmeisterseminarium gäbe es heute wahrscheinlich keine Universität. Viele deutsche Universitätsgründungen des 20. Jahrhunderts entstanden aus berufsbezogenen Anstalten, Oldenburg bildet da keine Ausnahme; die Universität Münster zum Beispiel, 1902 zur Volluniversität erhoben, erwuchs aus einer Priesterakademie, die Universität Köln entstand 1919 aus der Zusammenlegung der Handelshochschule, der Akademie für Praktische Medizin und der Hochschule für Kommunale und Soziale Verwaltung.

Das Oldenburger Schulmeisterseminarium war eine der typischen Gründungen des späten 18. Jahrhunderts, eine Mischung aus lutherischem Rationalismus und aufgeklärtem Beamtendenken in einer spätabsolutistischen Herrschaft mit dem Ziel einer vorsichtigen Modernisierung. Da der "künftige Schulhalter", heißt es in einer Begründung von 1793, nicht bloß eine verständiger und zu seinem Geschäfte geschickter sondern auch ein guter Mensch werden und durch sein Exempel Schüler am kräftigsten belehren soll, so müssen die jungen Leute, die sich diesem Stande widmen wollen, auch durch Gottesfurcht und gutes christliches Betragen sich dazu recht vorbereiten".1 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Oldenburger Schulmeisterseminarium Schritt für Schritt zu einer professionellen Stätte der Lehrerbildung. 1807 bezog es an der Wallstraße sein erstes eigenes Gebäude (heute Städtisches Presseamt), 1844/45 folgte ein sehr viel größeres an der Peterstraße (heute Staatshochbauamt). Zumindest im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts löste sich das Lehrerseminar vorsichtig von der geistlichen Schulaufsicht, obwohl es weiter nur evangelische Volksschullehrer ausbildete.

Aller akademischer Anfang ist schwer

Die Revolution von 1918/19 brachte zwei grundlegende Veränderungen. Zum einen wurden seit 1921 in Oldenburg Lehrer und Lehrerinnen gemeinsam ausgebildet, zum anderen begann der Übergang von der seminaristischen zur akademischen Lehrerbildung. Die akademischen Anfänge vollzogen sich in Oldenburg jedoch äußerst kümmerlich, weil der selbständige Freistaat Oldenburg mit seinen etwa 440.000 Einwohnern für eine voll ausgebaute Pädagogische Akademie einfach zu klein war. Dazu kam ein zweites Hindernis. Oldenburg war ein konfessionell in einen evangelischen Norden und einen katholischen Süden gespaltenes Land mit einer evangelischen Lehrerbildung in der Stadt Oldenburg und einer katholischen Lehrerbildung in der Stadt Vechta. Eine überkonfessionelle Pädagogische Akademie wäre ein Ausweg gewesen, doch das erlaubten die politischen Mehrheitsverhältnisse im Landtag nicht. Um 1930 schien ein Ausbruch aus der durch die Kleinstaatlichkeit und die konfessionelle Teilung verursachten Beschränktheit möglich, als das Land Oldenburg mit Preußen über eine gemeinsame evangelische Pädagogische Akademie verhandelte. 1931 unterzeichneten beide Regierungen sogar einen Staatsvertrag über eine Oldenburgisch-Preußische Akademie mit Sitz in der Stadt Oldenburg für insgesamt 320 Studierende. Die Weltwirtschaftskrise verhinderte die Realisierung dieses Vertrages, weder Preußen noch Oldenburg hatten das Geld für eine Hochschulneugründung. Für die preußische Staatsregierung unter Ministerpräsident Otto Braun (SPD) gab es noch einen zweiten Grund, den Vertrag mit Oldenburg nicht zu erfüllen: Die Neugründung in Oldenburg sollte nicht einer "politisch unerwünscht zusammengesetzten Regierung"2 zugute kommen. Die Befürchtungen der preußischen Staatsregierung waren nur allzu berechtigt gewesen. Die Landtagswahl vom 29. Mai 1932 endete mit einer absoluten nationalsozialistischen Mehrheit im Landtag, der Freistaat Oldenburg war das erste deutsche Land mit einer nationalsozialistischen Alleinregierung.

Obwohl die oldenburgische Nazi-Regierung keinerlei Interesse an der Lehrerbildung entwickelte, sogar meinte, man könne bis 1938 ganz auf die Lehrerbildung verzichten, kam es ausgerechnet 1936 im Zuge reichseinheitlicher Maßnahmen zur Gründung einer Hochschule für Lehrerbildung in der Stadt Oldenburg. Die Hochschulen für Lehrerbildung lehnten sich zwar formal und curricular an die Pädagogischen Akademien der Weimarer Zeit an, trotzdem war auch die Oldenburger Hochschule in erster Linie eine nationalsozialistische Hochschule. Vererbungslehre und Rassenkunde gehörten zu den Pflichtfächern, alle Studenten (Studentinnen gab es nicht) waren im NS-Studentenbund erfaßt und einem Studentenführer unterstellt, ebenso die Dozenten einem Dozentenführer. Während der gesamten Studienzeit trugen die Studenten Uniform, dazu kamen ständige Appelle und häufige Lageraufenthalte. 1941 war damit Schluß. Auf "persönlichen Wunsch" Hitlers verfügte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 8. Februar die "Einrichtung von Lehrerbildungsanstalten",3 also die Abkehr von der akademischen Ausbildung für Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer.

Die Hochschule für Lehrerbildung in Oldenburg war damit eine Episode geblieben. Ihre stärksten Spuren hinterließ sie in der Baugeschichte der Universität. 1938 hatte mit der Grundsteinlegung durch den oldenburgischen Reichsstatthalter Röver der Neubau der Hochschule für Lehrerbildung begonnen. Die Stadt Oldenburg stellte dafür ein weitläufiges Gelände an der Ammerländer Heerstraße bereit – so groß, daß dreißig Jahre später der Ausbau der Universität Oldenburg in der Anfangsphase ohne große Planungsgenehmigungen vonstatten gehen konnte. Bis zur Baueinstellung 1940 wurde allerdings nur ein einziges Gebäude fertiggestellt (heute: Musiklehrerausbildung)

1945 war Oldenburg der Ort, an dem die Lehrerbildung in Deutschland zuerst wieder aufgenommen wurde – an der Pädagogischen Akademie im alten Seminargebäude an der Peterstraße. Nach dem Aufgehen des Landes Oldenburg in dem neugegründeten Land Niedersachsen wurde daraus die Pädagogische Hochschule Oldenburg. Das Ende der staatlichen Selbständigkeit Oldenburgs führte zur ersten ernsthaften Forderung nach einer Universität in Oldenburg – am 4. Januar 1947. Sie sollte einerseits die "Morgengabe" Niedersachsens für Oldenburg sein. Andererseits tauchten erstmals jene Begründungen auf, die ab Ende der fünziger Jahre für eine Universitätsgründung genannt wurden: 1. die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung in Nordwestniedersachsen mit universitärer Bildung; 2. die Wirtschaftsförderung in diesem strukturschwachen Gebiet; 3. die Schaffung eines Gegengewichts zur Konzentration der Hochschulen am Südrand Niedersachsens in Göttingen, Braunschweig und Hannover.4 Nachträglich erstaunt tatsächlich die Universitätsleere fast des gesamten Nordsee-Küstengebiets bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Landwirtschaft, Handel und Schiffahrt treibende Bevölkerung hielt Universitäten wohl für überflüssig, selbst in den reichen Hansestädten. Hamburg eröffnete seine Universität erst 1919. Mit dem rasch fortschreitenden Wandel der Wirtschafts- und Sozialstruktur nach 1950 sowie der Verwissenschaftlichung vieler Lebensbereiche wurde jedoch eine quantitative Vermehrung der Universitäten immer dringender.

Der Ruf nach einer Universität wird laut

Am 23. Februar 1959 forderte der Rat der Stadt Oldenburg erstmals ganz offiziell eine Universität für Oldenburg, und seitdem blieb diese Forderung auf der Tagesordnung. Allerdings schwächten sich die Oldenburger unklugerweise gegenseitig und machten es der Landesregierung in Hannover und den alten Universitäten in Südostniedersachsen leicht, diese Forderung zehn Jahre lang abzuwehren. In Oldenburg existierten zwei Konzeptionen für die Gründung einer Universität. Das im "Förderkreis einer Universität in Oldenburg" organisierte konservative Bürgertum strebte eine traditionelle Volluniversität mit Standorten in Oldenburg und Wilhelmshaven an. Eine Integration der Lehrerbildung und damit der Pädagogischen Hochschule Oldenburg wurde definitiv ausgeschlossen. Der zweite Kreis setzte sich aus Professoren eben dieser Pädagogischen Hochschule sowie Vertretern der örtlichen SPD zusammen und verfolgte ein Konzept, nach dem aus der Lehrerbildung heraus eine Volluniversität mit Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften, Jura, Bau- und Vermessungswesen, Maschinenbau und Schiffbau, Elektrotechnik und Medizin entwickelt werden sollte. Dieses Konzept setzte sich schließlich durch, weil eine bereits 1963 berufene Sachverständigenkommission unter dem Vorsitz von Hans Leussink 1969 die Gründung einer Universität mit erziehungswissenschaftlichem Schwerpunkt in Nordwestniedersachsen empfahl. In einer Phase des Bildungsaufbruchs und großen Lehrermangels war das sicher eine richtige Empfehlung und fand auch den Beifall von Wählern, deren Kinder oder Enkel in Klassen mit oft mehr als 40 Schülern saßen. Am 6. Dezember 1969 beschloß die niedersächsische Landesregierung, in Oldenburg und in Osnabrück eine Universität zu errichten, im Wintersemester 1971/72 sollte der Studienbetrieb beginnen.

So wichtig und zukunftsweisend dieser Beschluß auch war, er wies einige Mängel auf. Mit der Gründung zweier Universitäten löste die Landesregierung zwar die politisch schwierige Standortfrage, indem sie beide Konkurrenten befriedigte. Aber die Finanzkraft Niedersachsens reichte im Grunde nur für eine Universitätsneugründung. Dazu mußte die katholische Pädagogische Hochschule Vechta, deren Existenz durch ein Konkordat gesichert war, finanziert werden. Deshalb beschnitten Landesregierung und Landtag von Beginn an die Fächerentwicklung der neuen Universitäten. Der in Oldenburg geplante Aufbau eines rechtswissenschaftlichen Fachbereichs wurde mehrmals abgelehnt, ebenso die Ausbildung von Medizinern oder Ingenieuren. Für den "Förderkreis" war das erneut ein Grund, sich nicht für die neue Universität zu engagieren.

Entscheidung für Reformuni irritiert Öffentlichkeit

Den Aufbau der Universität übertrug die Landesregierung am 1. März 1971 einem Gründungsausschuß, der zunächst drittelparitätisch mit fünf Professoren, fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern und fünf Studenten besetzt war, die etwa zu gleichen Anteilen aus Oldenburg und von anderen Universitäten stammten.5 Der Gründungserlaß gestand diesem Gremium eine heute fast unvorstellbare Hochschulautonomie zu, die Wissenschaftsbürokratie hatte praktisch keinen Zugriff, über die Hochschulentwicklung konnte selbst die Landesregierung nur mit Zustimmung des Gründungsausschusses entscheiden. Der Gründungsausschuß, der seine Arbeit bis auf Lehrentlastungen für den dreiköpfigen Vorstand (in der Hauptphase: Hans Peter Riesche, Rainer Krüger, Rüdiger Meyenberg) ehrenamtlich wahrnahm, hat dieses Vertrauen in die Hochschulautonomie gerechtfertigt. Die Universität Oldenburg nahm nach drei Jahren den Lehrbetrieb auf – und das trotz immenser Schwierigkeiten, vor allem aus drei Gründen:

  • Die Entscheidung für eine "Reformuniversität" mit einer Betonung des interdisziplinären Lehrens und Forschens in Projekten und mit starken Mitwirkungsrechten für alle Statusgruppen in der Universität rief Irritationen in der Öffentlichkeit hervor und vergrößerte die Distanz zwischen dem "linken" Gründungsausschuß und dem konservativen "Förderkreis der Universität". Diese Entfremdung zwischen Universität und Region löste sich im Grunde erst in den achtziger Jahren auf.

  • Die Landesregierung stattete den Gründungsausschuß zwar mit großer Autonomie, aber nur wenig Geld aus. Darunter litt die professionelle Planung der Universität.

  • Im Dezember 1971 beschloß die Landesregierung wegen der leeren Haushaltskassen, die Baumaßnahmen für die neuen Universitäten sowie die Bereitstellung von Personal-und Sachmitteln um ein Jahr zu verschieben. Im Protest dagegen vereinten sich diesmal regionale Öffentlichkeit und Gründungsausschuß. Die Kundgebung für eine Reformuniversität Oldenburg brachte mehr als 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Beine, das waren viel mehr als Oldenburg damals an Studierenden und Lehrenden zählte.

    * Prof. Dr. Hilke Günther-Arndt, seit 1973 an der Universität Oldenburg, ist Mitglied des Historischen Seminars. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt die Nachkriegsgeschichte der Pädagogischen Hochschule Oldenburg.

  • (Stand: 19.01.2024)  | 
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