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Erfahrungen

Zwei Fahrten nach Auschwitz

Der Kontext einer studentischen Exkursion in die Lager von Oswiecim

Die Fahrt, die wir nach Oswiecim durchführten, entstand als Projekt nach einer zweijährigen intensiven Zusammenarbeit. Im Mittelpunkt des Seminars "Die Endlösung der Judenfrage in Europa" bei Prof. Dr. Ahlrich Meyer standen zwei Perspektiven im Vordergrund:

1) Mit welchem Blick und unter welchen Handlungsprämissen wurden Jüdinnen und Juden zu Opfern des nationalsozialistischen Systems und der TäterInnen, d.h. allen, die direkt oder indirekt hiervon profitierten?

2) Wie geschah den Opfern Vernichtung und Massenmord, welche Überlebenstrategien und Hoffnungen verfolgten sie?

Werden solche Perspektiven verfolgt, verschiebt sich der Fokus davon weg, wie "einzelne" oder auch, wie in Auschwitz organisierte Grausamkeiten erfolgen konnten. Diese singuläre und eher auf die einzelnen TäterInnen psychologisch – und mitunter auch verstehend – entwickelte Sichtweise weicht dem Blick auf die Gesamtstrukturen der Vernichtung. In den Blick gerät der Mordprozeß als Gesamtwerk einer unübersehbaren Menge von Menschen, die jeweils einen kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Beitrag lieferten. Die "Opfer" sind gleichzeitig keine homogene Masse. Die Außendefinition als "Juden" wurde von den so Bezeichneten selbst nicht als gemeinsame Wahrnehmung geteilt. In solcher Weise vorbereitet, bekommt eine Fahrt nach Oswiecim nicht den Charakter einer Betrachtung der eigenen Befindlichkeiten oder des "Holocaust" an sich. Es geht um die Opfer und insoweit um die TäterInnen, als es den Mord an den Opfern zu erklären gilt.

Das Museum

Eine "Besichtigung des Konzentrationslagers" ist nicht möglich. Was existiert, ist ein Museum, in dem die Relikte des Lagers erhalten werden. Die Gedenkstätte Auschwitz besteht aus zwei Standorten. Im Ort selber liegt das ehemalige "Stammlager Auschwitz I", außerhalb das Lager Birkenau, in dem der Massenmord an den Jüdinnen und Juden technisch perfektioniert wurde.

Auschwitz I erweckt den Anschein von Gänze. Das Museum besteht aus den historischen Steingebäuden, alles ist erhalten. Hinter dem Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" erstreckt sich das klein wirkende Lagergelände. Alles wird regelmäßig restauriert. Im Innern der Gebäude zeigt eine Ausstellung die Verhältnisse im Lager.

Das Lager Birkenau wirkt weniger zeitlos. Von den Holzbaracken sind nur noch wenige erhalten, ansonsten bis zum Horizont Ruinen und am Ende die Überreste der Gaskammern. Die weite Ebene des Ruinenfeldes wirkt insofern fast "authentischer", als eigene Vorstellungen während der Führung entstehen, die nicht sofort durch ein klares Museumskonzept auf eine distanzierende Ebene heruntergeholt werden.

Realität ist beides nicht in dem Sinne, daß hier eine historische Momentaufnahme festgehalten wäre. Andere Konzeptionen sind denkbar. So entstehen museal vermittelte Bilder von Auschwitz, die aber nur Annäherungen an das, was geschah, sein können und sich bei den Betrachtern zu einem nachempfundenen Ganzen verdichten.

Deutsche Uniformen wieder in Auschwitz

Während unserer Exkursion besichtigten Bundeswehrsoldaten gemeinsam mit dem deutschen und polnischen Verteidigungsminister die Gedenkstätte Auschwitz. Unerwartet bekam unsere Fahrt einen aktuellen Bezug, sahen wir uns nun mit deutschen Einheiten konfrontiert, die im Kampfanzug durch Auschwitz liefen. Der zuständige Presseoffizier begründete dies so: Da sie sich auf einem NATO-Manöver befänden, sei es unter den schwierigen Bedingungen unmöglich gewesen, eine Ausgehuniform mitzunehmen.

Mit dieser Aussage wurde der Charakter des Gedenkstättenbesuches als Abstecher vom Manöver deutlich. Dies zeigt auch die Antwort auf unseren späteren Brief an das Verteidigungsministerium: "Bei Einladung der deutschen Soldaten nach Auschwitz waren diese bereits auf dem Truppenübungsplatz in Nova Deba, so daß schon deshalb ein Besuch der Gedenkstätte in Dienstanzug nicht erfolgen konnte". Wer bereits einmal die Lager in Oswiecim besucht hat, weiß, daß ein solcher Besuchsmarathon in einem zeitlich eng begrenztem Zeitraum weder sinnvoll noch angemessen ist. Wir verfaßten daraufhin einen Brief an Minister Scharping.

Nicht nur die äußere Form des Besuchs deutscher Soldaten in Auschwitz ist als problematisch einzustufen, sondern auch die Funktion, die sich hinter dieser "Bildungsmaßnahme" verbirgt. Nach den rechten Umtrieben in der Vergangenheit sieht sich die neue Regierung dazu veranlaßt, Imagekorrekturen vorzunehmen. Schröder spricht gerne von der notwendigen Wiederkehr von "Normalität". Damit meint er nicht nur das Ende von "Schuldgefühlen", sondern auch, daß die Menschen im In- und Ausland sich schrittweise an den Anblick deutscher Soldaten auf internationalen Militäreinsätzen gewöhnen müssen.

Auf unseren Brief schreibt uns das Verteidigungsministerium: "Ich teile Ihre Auffassung, daß in Auschwitz von seiten deutscher Soldaten ein hohes Maß an Sensibilität erforderlich ist. Ihre Bedenken gegen das Tragen des Feldanzuges vermag ich jedoch nicht zu teilen. Dieser hat keinerlei Ähnlichkeit mit den früheren Wehrmachtsuniformen oder gar den SS-Uniformen. Der Feldanzug ist die Uniform, in der unsere Soldaten seit vielen Jahrzehnten für das Recht und die Freiheit nicht nur des deutschen Volkes Dienst leisten, sondern dies seit Jahren auch für bedrängte notleidende Menschen in anderen Ländern."

Aber: "Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist noch nicht einmal vergangen." (William Faulkner)

Michael Schröter, Felix Kohn, Tanja Schäfer


(Stand: 19.01.2024)  | 
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