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Universität aus der Region nicht mehr wegzudenken

Expansion, Differenzierung und Konsolidisierung / Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg IV (und letzter Teil) / von Hilke Günther-Arndt*

Nach 1980 bis etwa 1995 trat die Lehrerbildung an allen Universitäten in den Hintergrund, auch in Oldenburg. Ursache dafür war der zusammenbrechende Lehrerarbeitsmarkt. 1985 betrug der Anteil der Lehramtsstudierenden in Oldenburg 36,7 Prozent, 1990 nur noch 24,5 Prozent. Trotz des quantitativen und öffentlichen Bedeutungsverlusts gelang es in Oldenburg, auch der zweiphasigen Ausbildung ein unverwechselbares Profil zu geben. Dazu trug eine enge Zusammenarbeit mit der Schulabteilung der Bezirksregierung Weser-Ems im "Gesprächskreis Schule – Universität" bei. So gelang es, den besonderen Stellenwert des schul- und unterrichtspraktischen Bezugs der Lehramtsausbildung zu erhalten. Die Prüfungsordnung des Landes Niedersachsen für die Lehrämter von 1998 hat vieles aus dem "Oldenburger Modell" der Lehrerbildung übernommen und es damit indirekt ausgezeichnet. Seit Mitte der neunziger Jahre steigt die Bedeutung der Lehrerbildung wieder, weil bis zum Jahre 2010 durch Pensionierungen an den Schulen faktisch ein Generationswechsel stattfinden wird. Der Anteil der Lehramtsstudierenden erreicht inzwischen in Oldenburg wieder knapp 30 Prozent. Er wird sich aufgrund der Zulassungsbeschränkungen für Lehramtsstudiengänge in den nächsten Jahren kaum vergrößern. Sichtbar ist allerdings schon jetzt, daß die "Erfolgsquote" in der Lehrerbildung sehr hoch sein wird, weil der größte Teil der Lehramtsstudierenden in Oldenburg das Studium erfolgreich abschließt.

Eine universitätsinterne Folge dieser Veränderungen war 1997 die Gründung des "Didaktischen Zentrums". Damit hat die Lehrerbildung praktisch eine "Doppelspitze": das akademische Entscheidungsgremium "Gemeinsame Kommission für Lehrerbildung" und das Didaktische Zentrum, das als fächerübergreifende wissenschaftliche Einrichtung insbesondere für die fächerübergreifende Lehre, schulpädagogische und fachdidaktische Forschung sowie die Nachwuchsbildung zuständig ist.

Diplom- und Magisterstudiengänge

Die Expansion und Differenzierung der Universität trugen seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre vor allem die Diplomstudiengänge und die seit 1984 eingerichteten Magisterstudiengänge. Die Zahl der Diplom- und Magisterstudierenden stieg von 535 im Jahre 1974 nach zehn Jahren auf 4.113 (1984) und lag 1998 bei 7.795 (davon 1.725 Magister). 1998 ergab sich folgende Rangfolge: Wirtschaftswissenschaften (1.741), Sozialwissenschaften (1.526), Pädagogik (1.280), Biologie (788), Informatik (767), Psychologie (599), Chemie (434), Physik (360), Mathematik (189), Raumplanung (134). Über die Jahre hinweg war dabei die Entwicklung in Pädagogik und den Sozialwissenschaften relativ gleichmäßig, während in den Naturwissenschaften generell, besonders aber im Diplom-Studiengang Chemie, seit den neunziger Jahre ein Rückgang der Studierendenzahlen zu verzeichnen ist. Das entspricht einer bundesweit zu beobachtenden Entwicklung und belegt, daß die Studienanfängerinnen und -anfänger außerordentlich sensibel auf Veränderungen des Arbeitsmarktes reagieren.

Besonders kräftig wuchsen in den achtziger und frühen neunziger Jahren die Wirtschaftswissenschaften mit ihren Studiengängen. 1981 studierten 324 Studierende im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften (ohne Lehramt), 1991 überstieg die Zahl erstmals 2.000 (2.062), seitdem sinkt sie etwas. Ein besonderes Profil verleihen den Wirtschaftswissenschaften der 1985 eingerichtete Diplomstudiengang Betriebswirtschaftslehre mit juristischem Schwerpunkt, das Diplom in Ökonomie mit einem Schwerpunkt in Ökologie oder in Informatik sowie das deutsch-französische Doppel-Diplom in Kooperation mit den Universitäten Le Havre und Brest. Für seine Anstrengungen um eine Studienreform erhielt der Fachbereich 1996 einen Förderpreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

Die Errichtung eines Fachbereichs Rechtswissenschaft war 1984 trotz des positiven Votums einer Gutachterkommission und massiver Unterstützung aus der Region vom Niedersächsischen Landtag mit 85:83 Stimmen abermals abgelehnt worden. Quasi als "Ausgleich" begann dafür 1985 der Aufbau der Informatik. Auch wenn Universität und Region den Jura-Studiengang bis heute fordern: Die "Zukunftswissenschaft" Informatik war ein großer Gewinn, weil sie sich nicht auf ihre Teilgebiete Theoretische Informatik, Praktische Informatik, Technische Informatik und Angewandte Informatik beschränkte, sondern sowohl in der Forschung wie in den Studiengängen den anderen Fächern vor Ort neue Möglichkeiten eröffnete.

Auf den Ausbau der Diplomstudiengänge in den achtziger Jahren folgte in den neunziger Jahren ein Ausbau der Magisterstudiengänge. Die ersten Magisterstudiengänge waren 1984 vom Wissenschaftsministerium genehmigt worden. Das spezifisch oldenburgische Profil zeigte sich darin, daß die Studierenden zwei Hauptfächer oder ein Hauptfach mit zwei Nebenfächern studieren mußten und in der Wahl der Kombination von Fächern aus unterschiedlichen Fachbereichen völlig frei waren, sogar zu ungewöhnlichen Fächerkombinationen ermutigt wurden, um "Nischen" auf dem Arbeitsmarkt zu entdecken. Die Statistik weist 1998 zwar weiterhin ein Übergewicht der klassischen Fächerkombinationen aus, z. B. Geschichte mit Politikwissenschaft, aber auch andernorts ungewöhnliche Kombinationen wie Musikwissenschaft mit Wirtschaftswissenschaften oder Niederlandistik mit Chemie.

Mit Philosophie ein Stück "Normalität"

Die Erweiterungen der neunziger Jahre erfolgten in zwei Schritten. 1995 wurden die Studiengänge Jüdische Studien und Philosophie eröffnet. Die Philosophie als Fach hatte es zwar schon zu Zeiten der Pädagogischen Hochschule gegeben, aber auf einen eigenständigen Studiengang Philosophie hatte der Gründungsausschuß merkwürdigerweise verzichtet. Die inhaltliche Vorbereitung leisteten die von der Stiftung Niedersachsen 1990–1995 geförderten Karl Jaspers-Vorlesungen, deren Name an den bedeutenden, in Oldenburg geborenen Philosophen und Zeitkritiker erinnert. Mit dem Studiengang Philosophie gewann die Universität ein weiteres Stück "Normalität", vor allem aber bedurfte – und bedarf – die Universität der Philosophie als derjenigen Disziplin, die systematisch die Grundlagen der Wissenschaften reflektiert. Mehr als tausend Teilnehmer an den 1997 wieder aufgenommenen Karl Jaspers-Vorlesungen mit Willard V. O. Quine (1997) und Jürgen Habermas (1998) zeigten das alte und neue Interesse an Philosophie und am Studiengang Philosophie.

Jüdische Studien sind dagegen an einer deutschen Universität durchaus noch keine Selbstverständlichkeit, und sogar an der Universität Oldenburg gab es bei den Beratungen dazu einige Mißtöne. Ihre Durchsetzung ist vor allem das Werk des Präsidenten Michael Daxner. Der Oldenburger Studiengang orientiert sich, wenn auch vorerst mit sehr bescheidenen Mitteln, am Vorbild der Jüdischen Studien in Israel und den USA. Das Wichtigste sei, bemerkte der Heidelberger Theologe Rolf Rentorff in seiner Rede zur Eröffnung des Studiengangs, "daß die Initiatoren dieses Studiengangs den Gegenstand ihrer Studien nicht mehr als einen von den Juden enteigneten christlichen Besitz betrachten. Im Gegenteil, die Einführung Jüdischer Studien ist Ausdruck des Bewußtseins dafür, daß uns sonst etwas fehlen würde, was wir aus unserer eigenen kulturellen und religiösen Tradition nicht beisteuern können."

Den vorläufigen Schlußpunkt in der Errichtung neuer Magisterstudiengänge bildeten 1997 der Studiengang Frauen- und Geschlechterstudien sowie der Aufbaustudiengang Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien für die Fächer Kunst, Musik und Textilwissenschaft. Beide sind ganz überwiegend von Wissenschaftlerinnen der Universität geplant worden, und sie steuern auch einen großen Teil des Lehrangebots bei, obwohl Gender Studies international gesehen längst ein anerkannter Lehr- und Forschungsgegenstand sind. Im Vergleich mit der Gründungsphase um 1970 dauern nicht nur Genehmigungsverfahren unendlich viel länger, auch neue Vorstellungen setzen sich erheblich langsamer durch.

Mit den neuen Magisterstudiengängen ist das sozial- und kulturwissenschaftliche Spektrum der Universität wesentlich erweitert worden. Gerade wegen dieser Erweiterungen wird die weiterhin relativ schlechte Ausstattung der Universität Oldenburg mit Sprach- und Literaturwissenschaften noch spürbarer. Romanistik und Latein würden sowohl in den Magister- wie in den Lehramtsfächern die Wahlmöglichkeiten der Studierenden erhöhen und das Fundament der kulturwissenschaftlichen Forschung verstärken.

Eine bunte Vielfalt der Forschung

Forschung und Lehre findet an der Universität in allen Fächern und im Zusammenhang mit allen Studiengängen statt. An dieser Stelle kann die Entwicklung nicht einmal grob nachgezeichnet werden. Die Parteien- und Wahlforschung als einen frühen Forschungsschwerpunkt der Politikwissenschaft und der Geschichtswissenschaft zu erwähnen und die national wie international rezipierten Forschungsergebnisse zum Wandel von Ehe und Familie in der Soziologie zu übergehen, wohl die Projekte zur Prävention von AIDS und von Drogenkonsum hervorzuheben, aber nicht die Forschungen zu den Bildungsvorstellungen und –einstellungen von Erwachsenen, zu Thomas Mann, zur Zoomorphologie oder die Entdeckung der Steinlaus – das wäre ein zu subjektives Vorgehen, auch wenn es die bunte Vielfalt der Forschung an der Universität spiegelte. Sie ist in sechs dickleibigen Forschungsberichten der Universität inhaltlich und statistisch umfassend dokumentiert.

Die bunte Forschungsvielfalt ist auch keine oldenburgische Besonderheit, wohl aber die über die Jahre hin stärker werdende Konzentration auf Umweltforschung. Das begann bereits in den siebziger und frühen achtziger Jahren mit Projekten wie "Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Förderung der Energieeinsparung" (Ökonomie), "Öl im Watt" (Biologie/Chemie), "Vorhersage von Verkehrslärmpegeln" (Physik), "Bezugssystemabhängige Urteile über die Lautheit von Schall bei lärmgeschädigten Arbeitnehmern" (Psychologie) oder "Rezeption und Verarbeitung ökologischer Problemstellungen durch Gewerkschaften" (Politikwissenschaft), reichte in den neunziger Jahren bis hin zu "Umweltkonfliktforschung und –managagement" und verdichtete sich in diesen zwanzig Jahren zu einem fächerübergreifenden Forschungs- und Lehrschwerpunkt der Universität. 1984 errichtete der Fachbereich 5 das "Institut zur Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen". Damit sollte eine psychologische Schwerpunktbildung benannt werden, aber "Mensch-Umwelt-Beziehungen" in einem umfassenderen Sinne wäre auch eine gute Bezeichnung für den größten Forschungsschwerpunkt in Oldenburg. Sein Umfang und seine institutionellen Auswirkungen auf die Universität können hier nur in Stichworten angedeutet werden:

  • das Institut für Chemie und Biologie des Meeres;

  • die Forschungsstelle "Politik – Umwelt – Recht";

  • die Diplomstudiengänge Ökonomie mit ökologischem Schwerpunkt, Marine Umweltwissenschaften, Landschaftsökologie sowie der Ergänzungsstudiengang Regenerative Energien;

  • das Graduiertenkolleg "Psychoakustik" (Physik, Psychologie, Informatik, Medizin)

  • der Sonderforschungsbereich 517 "Kognitive Leistungen und ihre neuronalen Grundlagen" (Biologie, Psychologie, Physik, Medizin).

    Waren es am Anfang noch einzelne Forscherinnen und Forscher, die sich den "Mensch-Umwelt-Beziehungen" zuwandten, läßt die inzwischen darin erreichte Forschungsdichte vermuten, daß solche Forschungen auch dann noch das Profil der Universität mitprägen, wenn ihre "Erfinder" in den nächsten Jahren pensioniert und emeritiert werden.

    Die Universität als strukturpolitischer Faktor

    Die Universität kennt ihrer Idee nach keine regionalen oder nationalen Grenzen, die Wissenschaft hat keinen "Ort". Trotzdem ist jede Hochschule – ob alt oder jung – ein strukturpolitischer Faktor für ihre Region, und sie hat den Auftrag, Bildung, Kultur und Wirtschaft vor Ort zu fördern. Die Universität und die Region Oldenburg haben es sich lange gegenseitig schwer gemacht. In den siebziger Jahren hatte die Universität, wie es in der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Universitätsgesellschaft heißt, ausgesprochene "Imageprobleme". In den achtziger Jahren bemühten sich die Universitätsleitungen zum einen mit Nachdruck um die Beseitigung dieser "Imageprobleme", zum anderen erkannten auch die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft der Region, daß die Forschungsleistungen der jungen Universität für die Region einen Gewinn darstellten. In den neunziger Jahren haben sich insbesondere durch die Gründung von An-Instituten die Beziehungen stetig weiter verbessert, aber in der jetzt erreichten "Gewöhnung" aneinander liegt auch eine gewisse Gefahr, nämlich die, daß beide die Verantwortlichkeit füreinander vergessen.

    Eine Regionaluniversität ist Oldenburg wie inzwischen fast alle deutschen Hochschulen vor allem in der Verteilung der Studierenden nach Heimatkreisen, und hier hat es auch kaum Veränderungen gegeben. Sowohl 1978 wie 1998 kamen etwa drei Viertel aller Studierenden aus dem nordwestlichen Niedersachsen einschließlich Bremen. Für die Wahl des Studienortes Oldenburg gaben in einer repräsentativen Befragung Anfang der neunziger Jahre 39 Prozent regionale Bindungen, 28 Prozent die Qualität der Universität und 18 Prozent die Attraktivität der Stadt Oldenburg an. Ihrem Bildungsauftrag für die Region wird die Universität darüber hinaus durch das seit Gründung der Universität bestehende "Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung" sowie das 1978 eingerichtete "Fernstudienzentrum" gerecht.

    Die direkte wirtschaftliche Bedeutung der Universität für den Wirtschaftsraum Oldenburg hat der Vorsitzende der Universitätsgesellschaft von 1986 bis 1994, Dr. Christopher Pleister, mit rund 200 Mio DM jährlich berechnet. Die indirekte wirtschaftliche Bedeutung ist darin nicht enthalten. Die 1984 gegründete Arbeitsstelle DIALOG für Wissens- und Technologietransfer (gemeinsam mit der Fachhochschule Oldenburg) ist die älteste hauptamtlich besetzte Transferstelle in Niedersachsen. In den neunziger Jahren sind eine ganze Reihe von An-Instituten gegründet worden. Nur zwei von ihnen seien hier genannt: das 1991 gegründete OFFIS (Oldenburger Forschungs- und Entwicklungsinstitut für Informatik-Werkzeuge und -Systeme) mit inzwischen etwa 70 Mitarbeitern und längst nicht mehr allein auf die Region beschränkt, und das 1996 errichtete "Hörzentrum Oldenburg" mit dem Schwerpunkt Medizinische Physik, das erfolgreich neuartige Hörgeräte bis zur Industriereife entwickelt.

    So wichtig Arbeitskräftequalifizierung und Wirtschaftsförderung für die Region sind: Die Universität ist darüber hinaus ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des kulturellen Lebens geworden. Das Universitätsorchester oder die Ausstellungen des Faches Kunst gehören dazu ebenso wie der bundesweit wohl einmalig auch für die Bevölkerung konzipierte Hochschulsport oder die Forschungen der Historiker und Germanisten zur Geschichte und Sprache der Region. Als das Niedersächsische Wissenschaftsministerium 1982 zur Reduktion der Lehrerausbildung in Niedersachsen unter anderem die Streichung des Faches Geschichte in Oldenburg plante, erhob sich ein Sturm der Entrüstung in der Region, der auf die große Bedeutung der Universität für die Erforschung der in der Tat besonderen Geschichte Oldenburgs und Ostfrieslands verwies. Der Protest hatte Erfolg und leitete in gewisser Weise öffentlichkeitswirksam das ein, was inzwischen als Identifizierung der Region mit "ihrer" Universität bezeichnet werden kann. Angesichts des wachsenden Konkurrenzdrucks unter den Hochschulen wird die Universität Oldenburg auch in Zukunft die kritische Solidarität "ihrer" Region brauchen.

    *) Prof. Dr. Hilke Günther-Arndt, seit 1973 an der Universität Oldenburg und Mitglied des Historischen Seminars, ist die Autorin der"Geschichte der Carl von Ossietzky Universitätz Oldenburg" , die auch als Broschüre anläßlich des 25jährigen Jubiläums erschienen ist. Die Broschüre kann bei der Presse & Kommunikation angefordert werden.


  • (Stand: 19.01.2024)  | 
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