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Das aktuelle Interview

Gewollt, aber nicht geliebt

Interview mit Gründungsrektor Rainer Krüger (1974-79)

UNI-INFO: Herr Krüger, 1976 sind 1500 StudentInnen, Wissenschaftler Innen und auch sonstige MitarbeiterInnen auf dem Fahrrad mit Ihnen an der Spitze nach Hannover gefahren, um für den Ausbau der Universität zu demonstrieren. Könnten Sie sich das heute auch noch vorstellen?

KRÜGER: Das ist heute schwer vorstellbar. Einmal, weil sich Zeitgeist und Lebensstil der Menschen geändert haben. Und zum anderen, weil diese dringliche Situation natürlich heute in der Form gar nicht mehr auftreten kann. Letzten Endes war diese Reformuniversität ja ein Signal, in Lehre, Forschung, Mitbestimmung vieles anders zu tun. Und damals war eben diese Mobilisierung möglich, die man heute nicht mehr hinbekommen würde.

UNI-INFO: Hat die Universität die Bevölkerung überfordert?

KRÜGER: Ganz sicherlich haben wir die Bevölkerung in der Weise über- fordert, dass wir so voller Elan in unseren eigenen Reformzielen gelebt haben, dass wir vergessen haben, unsere Ziele anschaulich zu vermitteln. Dies aber ist häufig das Schicksal von Universitätsgründungen.

UNI-INFO: Wie sind Sie als Rektor mit dem Spagat zwischen den hohen Anforderungen, den die Gremien an die gesellschaftlichen Veränderungen stellten, und Ihren Repräsentationspflichten gegenüber Region und Land fertig geworden?

KRÜGER: Zur damaligen Zeit, gerade als wir uns in dieser sehr kämpferischen Situation befanden, lag natürlich das Schwergewicht darauf, die Universität gegenüber Regierung, Politik, Region und Stadt überhaupt durchsetzungsfähig zu halten, während die Repräsentationspflichten, wie wir sie heute als normal ansehen, zu kurz gekommen sind.

UNI-INFO: Die Universität - ein von der Region gewolltes, aber nicht geliebtes Kind?

KRÜGER: Seitens des Oldenburger Bildungsbürgertums war natürlich eine Universitätsgründung vordringlich. Aber sie sollte so entstehen, wie diese Generationen selber ihre akademische Ausbildung erlebt haben. Da gab es eine große Enttäuschung, als wir mit den Vorstellungen zur Hochschulreform als Ausfluss der 68er Zeit Ernst machen wollten – mit Chancengleichheit, Projektstudium, durchlässigen und demokratischen Strukturen. Eine solche Reformmannschaft hat immer einen Überschuss an Kreativität, auch an Spontanität, die dann nicht nur der Bevölkerung, sondern auch Regierungen, ganz gleich welcher Couleur, und ihrer Bürokratie zu weit gehen.

UNI-INFO: Haben diese Spannungen auch ihre positiven Seiten gehabt?

KRÜGER: Heute kann man nur sagen, es ist ein Glück gewesen, dass sich viele der damaligen Wissenschaftler, die nach Oldenburg berufen wurden, gerieben haben an den etablierten Strukturen, wie sie eben auch diese Residenzstadt Oldenburg in sich trug. Auf das Kulturleben hat sich das insoweit ausgewirkt, als die etablierte Kultur sich vermischt hat mit dem, was man vielleicht alternative Kultur und andere Lebensweisen nennen könnte. Und das ist für Oldenburg ein Riesenglück gewesen.

UNI-INFO: Das klingt alles sehr positiv. Gab es nicht zum Beispiel durch die sich sehr heftig bekämpfenden linken Gruppierung in der Uni sehr viel Destruktion und Leerlauf?

KRÜGER: Natürlich. Damals war ja das Lager der Reformer insgesamt relativ sektiererisch aufgespalten. Unzählige Meinungen, Grüppchen, Gruppen, die sich dann auch im politischen Alltag, bei Wahlen usw. artikulierten. Gleichwohl denke ich, dass es in den wichtigen Reformzielen, ob es um Projektstudium ging, die Mitbestimmungsfrage, das Hineinholen benachteiligter Bevölkerungskreise in die Universität, das Setzen neuer Forschungs- und Lehrschwerpunkte und auch um die Namensgebung, immer wieder gelungen ist, auch eine Einheit herzustellen. Das haben wir häufig über ein damals basis-demokratisches Verfahren überprüfen können. Wir hatten ja riesige Vollversammlungen, wo sich auch eine gewählte Universitätsleitung quasi zur Disposition stellte.

UNI-INFO: Der heutige Präsident der Uni Hamburg, Jürgen Lüthje, damals Kanzler in Oldenburg, vertritt die Position, der Regierungswechsel 1976, als die CDU das Ruder übernahm, sei ein heilsamer Schock gewesen, weil er viele in der Universität zu einem realeren Blick auf die Gesellschaft gezwungen habe.?

KRÜGER: Das sehe ich auch so. Wir hatten dadurch einen sehr viel klareren Aussenbezug, indem wir wussten, es geht wirklich um das Überleben von Reformideen. Vorher hatte das entspanntere Verhältnis zur sozial-liberalen Regierung, die ja Reformen wollte, zu wahnsinnig vielen Detail-Diskussionen geführt, die aus der heutigen Sicht absolut überflüssig waren - wie der lange Streit um die Genehmigung von Prüfungsordnungen. Als die Albrecht-Regierung dann da war, trat eine ganz andere Dynamik ein, die ein nüchterneres Handeln der Gremien erforderte. Und das trat auch ein. Zum Glück.

UNI-INFO: Wenn Sie heute die Universität sehen, haben Sie das Gefühl, dass sie sich so entwickelt hat, wie Sie es sich damals erhofft haben?

KRÜGER: Im Wesentlichen ja. Was die inhaltlichen Zielbestimmungen mit Forschungs- und Lehrschwerpunkten angeht, hat die Universität ein Profil gewinnen können, dessen Wurzeln in den 70ern angelegt worden sind. Zum Beispiel der starke Umweltbezug, den wir damals in den Naturwissenschaften forciert haben, ist ja ein Glücksfall. Ein Großteil der Forschungsgelder geht in ökologische Fragestellungen. Da waren wir damals wirklich innovativ.

UNI-INFO: Tatsächlich wurde die Universität wegen dieses Schwerpunktes damals eher belächelt.

KRÜGER: Ja, belächelt oder verachtet. Ich stand damals der mathematisch-naturwissenschaftlichen Kommission vor und als wir es wagten, an so etwas wie angewandte oder technische Chemie zu denken, hat man uns gesagt: Wenn Sie nicht erst die Lehrstühle Organische Chemie eins, zwei, drei usw. besetzen, dann ist es frevelhaft. Heute sieht man das ganz anderes. Wir haben es damals schon so gesehen.

UNI-INFO: Haben die StudentInnen vom neuen Denken profitiert?

KRÜGER: Als ausgesprochen positiv bewerte ich das offene Milieu und Klima, was zwischen Studierenden und Lehrenden auch heute noch besteht. Das ist doch ganz anders als an manch anderer Universität.

UNI-INFO: Also ist heute alles in Butter?

KRÜGER: Nein Als sehr negativ empfinde ich, dass sich kaum eine Form der Binnendemokratie entwickelt hat, die auf Transparenz, gegenseitige Achtung und Respektierung des Anderen gerichtet ist. In manchem konservativen Institut herrscht ein aufgeklärterer Geist. Es ist gut, dass mit dem derzeitigen Generationenwechsel viele neue Wissenschaftler kommen, die unbefangener miteinander umgehen können als die "Alten".

UNI-INFO: Was würden Sie als Ihren größten Erfolg als Rektor bezeichnen?

KRÜGER: Der größte Erfolg war, dass bei meinem Ausscheiden der Ausbau des Zentralbereichs am Uhlhornsweg mit der Bibliothek, den Sportanlagen und der Mensa gesichert war. Das war die existenztielle Absicherung der Universität - ein großes Glück für die Region.


(Stand: 19.01.2024)  | 
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