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"Ein heilsamer Schock"

Jürgen Lüthje über die Gründungsjahre der Universität und die Wirkungen eines überraschenden Regierungswechsel auf die Reformer der 70er Jahre

Prof. Dr. Rainer Krüger, Rektor von 1974 bis 1979, und Dr. Dr. h.c. Jürgen Lüthje, damals Kanzler, waren die zentralen Persönlichkeiten in den Gründerjahren der Universität Oldenburg. Anläßlich eines Symposions zum 60. Geburtstag von Krüger beschäftigte sich Lüthje, heute Präsident der Universität Hamburg, mit den Anfängen der jungen Hochschule. Die stark gekürzte Fassung der Rede ist autorisiert.

Die Zeit der Universitätsgründung war eine Zeit des Aufbruchs, die aber im Rückblick schon eine Zeit des Übergangs war: eines Übergangs zu einer neuen hochschulpolitischen Konstellation, die dann in so schreckliche Worte mündete wie "Studentenberg" und "Untertunnelung". Die Stimmung aber, die uns erfüllte, entstammte den Reformidealen der Endsechziger Jahre, und die hießen auf die Hochschulen bezogen: Schaffung einer Integrierten Gesamthochschule als Ansatz zum Ausgleich von Bildungschancen, Mitbestimmung am Arbeitsplatz durch paritätische Besetzung aller Entscheidungsgremien, Öffentlichkeit und Transparenz der Entscheidungsvorgänge, Stärkung der Selbstverwaltung durch Präsidialverfassung und Einheitsverwaltung, Verbindung von Forschung, Lehre und Studium durch forschendes Lernen in Arbeitsbereichen und Projekten, Verbindung von wissenschaftlicher Arbeit und gesellschaftlicher Praxis, öffentliche Darlegung von wissenschaftlicher Arbeit und ihrer Ergebnisse.

"An einer konsequenten Verwirklichung dieser Ziele wurde der Gründungsausschuß durch gesetzliche Regelungen und dazu ergangene Urteile gehindert. Vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränkte die Möglichkeiten einer am Grundgesetz ausgerichteten Universitätsreform empfindlich ein, ohne die Einschränkungen aus dem Grundgesetz begründen zu können". So bilanzierte der Gründungsausschuß in der Präambel zur Grundordnung. Er sah keine Möglichkeiten, diese Beschränkungen zu beseitigen, versuchte aber, durch Rückbindung an die programmatischen Ziele dieser Universitätsgründung diejenigen einzubinden, die eigentlich andere und weitergehende Ziele verfolgten und gleichzeitig den Kontakt zur Umwelt sicherstellen, die schon ganz anders dachte.

Ungeklärte Ziele

In dieser Phase des Übergangs von der Gründung und Vorbereitung zum Aufbau der Universität zeigte sich, dass die Universitätsgründung in Oldenburg vom Staat in einer, wie ich heute sagen muß, kaum verantwortbaren Weise nur als Verfahren gestaltet wurde: Ein Gründungsausschuß wurde eingesetzt, ohne dass der staatliche Träger deutlich machte, welche Art von Universität er gründen wollte. Er überließ die Bestimmung der Ziele und Zwecke dieser Universität einem von ihm eingesetzten Gründungsausschuß und lud ihm damit zugleich die gesamte Last der Legitimation dieser Ziele gegenüber einer Öffentlichkeit auf, die diese Ziele und Zwecke nur sehr begrenzt teilte. So wurde dieser Universitätsgründung – und damit ihrem ersten Rektor – schwere Hypothek mit auf den Weg gegeben: ungeklärte Ziele und eine völlig ungewisse finanzielle Zukunft. Keines der Folgejahre war in der mittelfristigen Finanzplanung des Landes verlässlich abgeklärt.

An einigen Beispielen wird dies deutlich: der ‚Aufbau einer Einphasigen Lehrerausbildung' erforderte eine Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die in Fortführung einer anerkannten Tradition der PH die Lehrerausbildung reformieren wollten, und denjenigen, die in der Reform der Lehrerausbildung eine Reform der Gesellschaft und der Schule durch Ausbildung sahen. Damit geriet das Ausbildungskonzept der 'Einphasigen Lehrerausbildung' in eine Auseinandersetzung um die Einführung der Gesamtschule, die damals bundesweit geführt wurde. An dieser Stelle fehlte das klare staatliche Wort, welche Art der Lehrerausbildung gewollt war. Hier lag ein Konfliktpotential, das mangels Klarheit staatlicher Vorgaben auf dem Rücken der Universität ausgetragen wurde. Ich will aber auch betonen, dass in unrealistischer Einschätzung der Möglichkeiten der Universität als Ausbildungs- und Bildungseinrichtung viele von uns damals über dieses Vakuum, das auch Freiraum bedeutete, froh waren.

Ein zweites Beispiel für die Ambivalenz der Gründungsphase stellt das Pendeln zwischen dem Konzept des Projektstudiums und dem Konzept curricular gestalteter Studiengänge dar. So war das Projekt Haarenniederung ein Versuch, Diplomstudiengänge mit Lehrerausbildung, Naturwissenschaften mit Geistes- und Sozialwissenschaften zu koppeln. Im Plenum dieses Projektes war nahezu die gesamte Universität vernetzt. In dieser Komplexität des Ansatzes war notwendig auch sein Scheitern angelegt. Trotzdem haben alle Beteiligten das Projekt als eine faszinierende Herausforderung empfunden, und wahrscheinlich sind alle Beteiligten in der Verwirklichung dieses Projektes über sich hinausgewachsen. Sie haben versucht, Theorie und Praxis zu integrieren, Lokal- und Regionalbezug herzustellen, für Diplom- und Lehramt gleichzeitig auszubilden und unmittelbar gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.

Ein drittes Spannungsfeld dieses Gründungsprozesses war der Zielkonflikt zwischen Mitbestimmung und Effizienz. Er spiegelte sich in übermäßigen Sitzungszeiten, im Verschleiß an persönlicher Energie, der von uns allen mehr oder weniger klaglos hingenommen wurde, weil wir das Gefühl hatten, die Sache erfordere das Engagement und sei es wert.

Ein besonderes Konfliktfeld zwischen Autonomie und staatlichem Lenkungsanspruch war der Namensstreit. Er begann mit der Auseinandersetzung um die Genehmigung der Grundordnung. Soll der Name der Universität Bestandteil der Grundordnung sein oder nicht? Wir fanden den Kompromiß, diese Frage zunächst einmal in die Präambel zu verlagern, akzeptabel. Dennoch kam es zu einem Polizeieinsatz mit dem Ziel, den Namenszug am AVZ-Turm zu entfernen. Es kam zu dem Stacheldrahtknoten als Symbol für die Auseinandersetzung um die Namensgebung im Zusammenhang mit den Ossietzky-Tagen 1978. Diese Auseinandersetzung hatte aber auch eine Kehrseite: Hätte der Name der Universität im Genehmigungsverfahren reibungslos die Zustimmung der staatlichen Seite erhalten, würde heute niemand eine Carl von Ossietzky Universität wahrnehmen. Ich bin überzeugt, dass erst die Ablehnung der Namensgebung und die darauf folgende Auseinandersetzung sowohl die Mitglieder der Universität Oldenburg gezwungen hat, eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit Leben und Wirken Carl von Ossietzkys zu führen, als auch die politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik dazu gezwungen hat, über den historischen Stellenwert der Persönlichkeit von Ossietzky nachzudenken.

Der Regierungswechsel

Ich erinnere mich noch sehr genau an die Situation, als wir im Rektorat saßen und vom Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl 1975 erfuhren: Uns traf der Schock. Die Selbstverständlichkeit der Auseinandersetzung mit einer sozialdemokratischen Landesregierung war plötzlich vorbei. Die Universität Oldenburg geriet damit in die Rolle des schwarzen Schafes. Während die Universität in der sozialdemokratischen Regierungsphase als zwar unbequemer, aber letztlich doch förderungswürdiger Reformpartner behandelt wurde, war mit der neuen CDU-Regierung eine Situation entstanden, in der man um die Existenz der Universität fürchten mußte. Möglicherweise war dies ein positiver Impuls. Er zwang die Universität zu einem Pragmatismus, der sie in die Normalität der deutschen Hochschullandschaft eingegliedert hat. Ich bin nicht sicher, ob die Aufnahme in die DFG möglich gewesen wäre, wenn dieser harte mentale Bruch damals nicht stattgefunden hätte. Manch andere Entwicklungen lassen sich beschreiben, die nur deswegen möglich wurden, weil ein politischer Wechsel dazu zwang, sich auf neue hochschulpolitische Parameter und auf neue gesellschaftliche Zielsetzungen einzustellen.

Was ist geblieben von der Amtszeit Rainer Krüger (1974 bis 1979) und was kommt heute wieder? Aus dem Projekt Universität Oldenburg ist eine Universität mit einem charakteristischen Profil geworden. Dieses Profil hat einen Namen: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Diese Universität hat schmerzhaft und mühsam lernen müssen, offen für Neues zu sein und das Neue nicht zu dogmatisieren. Diese Universität hat sehr früh erkannt und daran festgehalten, dass sie zur Lösung von Umweltproblemen beitragen muß. Dies ist zu einem zukunftsweisenden Element des Profils der Universität geworden. Diese Universität ist regional verankert wie kaum eine andere Neugründung in der Bundesrepublik. Sie ist für die Region Oldenburg/Ostfriesland das, was früher für die Oldenburger ihr Herzogtum war. Wahrscheinlich angestoßen durch die Auseinandersetzung um die Namensgebung ist die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg eine Universität mit internationaler Ausstrahlung geworden.


(Stand: 19.01.2024)  | 
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