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Radikalisierendes Unbehagen

Michael Daxner* über die Probleme, die Universitäten in Deutschland zu reformieren

Innovation, Elite, Gebühren, BAFöG .... die Kaskade an unausgegorenen Themen in und über die Universitäten ist nicht zum Aushalten. Seit ungefähr 30 Jahren werden diese Worthülsen zwischen der Hochschulforschung, der Politik und der jeweiligen veröffentlichten Meinung von mehr oder weniger Betroffenen zerrieben.

Das Fatale ist, dass gar nicht jeder weiß, worum es (noch) geht. Es ist ein sich radikalisierendes Unbehagen, das auf allen Seiten populistische Züge trägt, um Reformen zu rechtfertigen, die wenig kohärent sind, auch wenn sie für sich jeweils einen Kern von Rationalität tragen.

Das Elite-Innovationskonzept der Regierung ist eher komisch, aber es zeigt einen wunden Punkt: Nach wie vor möchte man in Deutschland Leistung kaufen anstatt Strukturen zu verändern.

Die studentische Opferrolle wiederum ist zwar im Einzelfall wirkungsvoll, aber so arm und sozial ausgegrenzt, wie sich die Gewinner des Aufstiegswettbewerbs seit dem deutschen Wirtschaftswunder gerne darstellen wollen, sind sie nicht.

Die unermüdlich für ihre Studierenden und den Ruhm der Forschung tätigen Beamten in der Wissenschaft sind in der Mehrzahl auch nur Mittelmaß, aber sie wollen sich ständig korporativ mit der Spitze verglichen wissen.

Die Ministerien reden von Autonomie und lassen keine betriebswirtschaftlich sinnvollen Reformen zu, faseln von der Verantwortung des Staates und können keinen Globalhaushalt verstehen.

Die Länder pochen auf ihre Kulturhoheit und verzetteln sich in adoleszenten Anerkennungsfragen, der Bund weiß nicht, ob er Geld gegen Macht oder Laisser-faire spielen soll. Die Eltern kümmern sich nicht um die Bildungszukunft ihrer Kinder, das Studienschicksal wird im gebührenbewehrten Kindergarten entschieden.

Es fällt sicher auf, dass die endlose und erweiterbare Beschimpfung nichts weiter ist als ein tiefes Unbehagen und aus all den Körnchen Wahrheit noch kein Gegenkonzept wird.

Seit der Vereinigung, als der Westen seine Probleme in den ohnedies schon problematischen Osten schamlos exportiert hat, ist die Frage unabweisbar: Ist unser System, das sich mit sehr fragwürdigem Recht auf Humboldt und vergangene Erfolge beruft, tatsächlich überlebensfähig, aus sich heraus reformierbar und mit den neuen supranationalen Strukturen kompatibel?

Unmotivierte Lehrende

Die Antwort ist weitgehend negativ. Dass das System trotzdem leistungsfähig ist, liegt zum einen an dem enormen quantitativen Einsatz von Mitteln und Personal, was sich andere, ärmere Systeme gar nicht leisten können. Es liegt zum zweiten daran, dass Hochschulen, als sogenannte locker verbundene Systeme, in manchen Bereichen hocherfolgreich agieren können, z.B. in einzelnen Forschungsgebieten, während sie in anderen Feldern kurz vor dem Kollaps stehen, ohne gleich als Ganzes zusammenzufallen. Drittens hat sich die vielberufene „Einheit von Forschung und Lehre“ in ihrer deutschen Interpretation nicht bewährt: Ein Großteil der Forschung findet nicht an Hochschulen statt, bezieht aber von dort seinen Nachwuchs, während die Lehre nach wie vor der disziplinären Forschungslogik nachgebaut wird. Das kann in der Didaktik niemals gutgehen, weil die Forschungslogik und die Studierstrategie zwei gleich wichtige, aber schwer vermittelbare Einheiten sind. Ein Großteil der Lehrenden ist auf seine Aufgabe zu lehren nicht oder schlecht vorbereitet und meist auch unmotiviert, weil wissenschaftliche Reputation damit nicht erreicht wird.

Was tun? fragt sich seit langer Zeit die hochschulpolitische Szene, die politisch bestenfalls dazu taugt, Wahlergebnisse negativ zu beeinflussen, aber nie zu verbessern. Meine kurzen Antworten.

1. Hochschulen müssen so unterschiedlich gestaltet sein, dass sie die verschiedenen Lebensplanungen von mindestens 40 Prozent eines Altersjahrgangs und zunehmend vieler Studenten im lebenslangen Lernen berücksichtigen. Das heißt, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen nur sehr bedingt hilfreich ist. Dies ist auch eine direkte Kritik am sogenannten Förderalismus in der Hochschulpolitik. Die Standards werden europäisch gesetzt und nicht innerhalb eines im Wissenschaftsbereichs zunehmend irrelevanten Nationalstaats.

2. Studierende müssen die Wahl haben, dann können Hochschulen auswählen. Der jetzige Trend, dass Hochschulen „ihre Studenten“ auswählen dürfen, ist fatal, weil damit nur eine kleine Crème abgeschöpft wird, und der „Rest“ an schlechten Hochschulen mit schlechten Studienbedingungen und niedrigem Leistungsanspruch verkümmern soll.

3. Hochschulen müssen um Studierende werben können, dazu bedarf es aber eines Überangebots an Studienplätzen und nicht einer Mangelverwaltung. In den USA - in vielem ja auch sonst ein Vorbild - gibt es eben eine Überversorgung von etwa 100 Prozent. Das bedeutet, dass man sich um Studienanfänger und Postgraduierte bemühen muss: mit guten Curricula, entsprechendem sozialen Umfeld und vor allem mit Vermittlungschancen in entsprechende Tätigkeiten.

4. Wir haben gemessen am Studienaufkommen zu viele forschungsorientierte Professoren und zu wenig Lehrende. Eine wirklich gute Universität kann sich keine Gruppengrößen über 15 TeilnehmerInnen leisten.

5. Wenn der Lehre ein stärkeres Gewicht gegeben werden soll, bedeutet das nicht eine Ausdünnung der forschungsfähigen Spitze. Im Gegenteil. Es sollte gleichzeitig eine Rückführung der Forschung an die Hochschulen stattfinden. Wir haben viel zu viele Max-Planck-, Helmholtz-, Leibnitz- und Fraunhofer-Institute. Zusammenarbeit und gemeinsame Berufungen und Promotionen nützen wenig, wenn nicht eine stärkere Integration dieser Institute in die Hochschulen erfolgt, und wenn nicht im anwendungsorientierten Bereich eine breitere legitime Einkommensquelle für die Universitäten erschlossen wird. Die Hochschulrektorenkonferenz hat auf die Pläne zur Spitzenförderung der Bundesregierung richtig reagiert: aus der Breite kommt die Spitzenleistung, nicht aus dem Zufeilen des ohnedies schmalen Elitenagels.

Für Gebühren auch haften

Wenn all diese Bedingungen erfüllt sind und die Lehre einen entsprechenden Platz in der Politik und nicht nur in der Hochschulplanung bekommt, dann und erst dann - kann man sich einer aktuellen Debatte widmen: Studiengebühren.

Die Befürworter müssen Antworten auf zwei Fragen geben: Welche Rechte sollen sich die Studierenden durch Gebühren einhandeln und wie sollen die Hochschulen für die Verwendung der Gelder gegenüber den Studierenden haften - nicht nur moralisch und politisch, sondern auch juristisch. Es handelt sich um Geschäfte unter Erwachsenen und nicht unter Unmündigen. Und die Gegner sollten ebenso klare Aussage darüber machen, wo die akademischen Privilegien - geringen Entfremdung, hohe Flexibilität, geringe Arbeitslosigkeit, starke Selbstbestimmung der Lebensplanung, hohes kulturelles und soziales Kapital - abgegolten werden, wenn man schon auf ein steuerfinanziertes öffentliches Modell allein rekurriert. Die wenigen privaten Hochschulen in Deutschland haben bisher den Beweis ihrer Tauglichkeit nicht erbracht, weil sie zu stark vom Staat subventioniert sind und nur Studiengänge anbieten, die ohnedies wenig kosten - Witten-Herdecke ausgenommen.

Zuerst die Reformen

Ich denke, wir sollten das Problem über die verbindliche Einführung der oben beschriebenen Minimalreformen angehen, bevor wir anfangen, über Gebühren zu reden, unabhängig davon, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wenn ein paar Länder ihre Kulturhoheit missbrauchen sollten und Gebühren einführen, werden unsere besten StudentInnen weiter an die London School Of Economics und andere gute Universitäten abwandern und dort zahlen.

Übrigens: gute Universitäten in den USA sind nicht nur Harvard und Stanford, sondern auch staatliche wie Berkeley, Ann Arbor oder Amherst, Wisconsin und auch Towson, unsere wichtigste Partneruniversität in den USA, sowie unzählige kleine, an denen nicht überwiegend, sondern auch geforscht wird.

Wir haben noch Bedarf an zusätzlichen AbsolventInnen, sowohl im Erst- als auch im Weiterbildungsstudium. Um dies bezahlen und anbieten zu können, muss die Grundfinanzierung für die Lehre verbessert werden. Die Studierenden müssen effektiv, d.h. qualitativ hochwertig, ihr Erststudium absolvieren können und dann leistungsbezogen weiterstudieren, arbeiten oder auch an die Hochschulen zurückkehren können. Ein über 20 Semester gedehntes Politikstudium oder Medizinstudium bringt es wohl nicht. Damit all dies möglich ist, muss der Generationenvertrag verändert werden und soll damit beginnen, erwachsene Menschen als solche ernst zu nehmen und mit Rechten und Pflichten auszustatten.

*Prof. Dr. Michael Daxner, Soziologe und Präsident der Universität Oldenburg von 1986 bis 1998, ist ein international tätiger Hochschulexperte. Er gehörte von 1996 bis 2003 dem Österreichischen Universitätskuratorium an und ist Mitglied des Landeshochschulrates von Brandenburg. Außerdem war er für die UNO als Bildungsverantwortlicher im Kosovo tätig. Derzeit berät er die afghanische Regierung bei der Hochschulgesetzgebung. Seit dem Sommersemester 2004 ist er wieder als Hochschullehrer in Oldenburg tätig.


Videoüberwachung und öffentlicher Raum

Das Für und Wider / Von Jan Wehrheim*

Zwei konkurrierende Einschätzungen kennzeichnen derzeit die Diskussion über Videoüberwachung. Einerseits wird davon ausgegangen, dass Videoüberwachung Kriminalität reduziere, sie wirke also präventiv, als „positiver Ordnungsfaktor“. Andererseits führe Videoüberwachung zum Verlust bürgerlicher Freiheitsrechte, da die Individuen bei Beobachtung auf deren Wahrnehmung automatisch verzichten würden. Videoüberwachung wirke als „negativer Ordnungsfaktor“.

' In dieser Kontroverse wird jeweils davon ausgegangen, dass die Kameras von selbst eine Wirkung entfalten, die Individuen bereits von alleine auf die Kameras reagieren. Dies erscheint jedoch fraglich. Das britische Innenministerium legte bereits 2002 die Ergebnisse einer Auswertung von 22 Studien zu Videoüberwachung in den USA und Großbritannien vor. Demnach reduzieren sich Diebstähle von und aus Kraftfahrzeugen um gut 40 Prozent, Taschendiebstähle nahmen nur zwischen zwei und vier Prozent ab, und auf die Häufigkeit von Gewaltdelikten gab es keinerlei Auswirkungen. D.h. Videoüberwachung entfaltet demnach außer auf Parkplätzen kaum eine Wirkung. Aber nur ein Bruchteil der Kameras beobachtet Parkplätze und offiziell sollen sie ja primär vor Gewalt schützen. Im Durchschnitt liegt die Wirkung von kostspieligen Kameraanlagen sogar unter der Wirkung einer verbesserten Straßenbeleuchtung.

Können Kameras dennoch grundsätzlich disziplinierend wirken? Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die Adressaten und Adressatinnen dieser Machtintervention von der Existenz der Kameras wissen, und dies in der Regel in Deutschland nicht der Fall ist, da Kameras meist unauffällig und Hinweisschilder oft klein sind.

Offenbar besteht kein Interesse, Karnevalisten das Biertrinken im öffentlichen Raum zu verbieten oder älteren Damen das Schummeln mit der Parkscheibe nachzuweisen. Das Gespräch eines potenziellen Drogenkonsumenten mit einem scheinbar über Kleidung oder Hautfarbe identifizierbaren Verkäufer illegalisierter Stoffe hingegen steht sehr wohl im Blickpunkt der Kameras, genauso wie so manche politische Demonstration oder aber der Alkoholkonsum von Punks in Fußgängerzonen. Eine Untersuchung bestätigt, dass männliche Jugendliche, insbesondere wenn sie Merkmale ethnischer Minderheiten tragen, sowie sozial marginalisierte Gruppen am häufigsten und längsten beobachtet werden. Frauen hingegen werden nur selten länger beobachtet, dafür aber jede Zehnte ausschließlich aus voyeuristischen Motiven.

In Zukunft wird verstärkt auf Überwachungspersonal verzichtet werden können. Computersoftware lässt sich auf Handlungsabläufe, Bewegungen oder Objektgrößen programmieren. Somit lassen sich einzelne Verhaltensweisen genauso wie individuelle oder auch kollektive Merkmale von Personen oder Personengruppen programmieren sowie gezielt selektieren und überwachen. Die Programmierung muss dabei nicht einmal bewusst diskriminierend eingesetzt werden. Vielmehr ist es umgekehrt: Überwacht werden normale Aktivitäten, normale Verhaltensweisen, wie z.B. der durchschnittliche Handlungsablauf beim Betreten eines Parkhauses. Abweichung fällt dann indirekt durch die Überwachung der Normalität auf. Das interessierte Anschauen eines neuen Automodells kann dann schon Alarm auslösen.

Die Identifikation und selektive Überwachung von Handlungen oder Personen sind wiederum die Voraussetzungen, um Personen aus Räumen zu verdrängen. Damit ist die zweite Intention von Videoüberwachung angesprochen: räumliche Ausgrenzung. Sie wird sowohl von Polizei als auch von privaten Betreibern der Kameraanlagen explizit als ein Grund von Videoüberwachung genannt: Einzelpersonen oder Personengruppen, die Sicherheitsgefühle und/oder das Konsumambiente - je nach Ort - beeinträchtigen könnten oder von denen vermutet wird, sie könnten in kriminogene Situationen involviert sein, sollen verdrängt werden.

Unmittelbar wird Ausgrenzung allerdings erst, wenn nach einer Kette von Ereignissen das Sicherheitspersonal die Betroffenen aus den Räumen verweist oder gar gewaltsam entfernt. Kameras alleine entfalten diese ausgrenzende Wirkung in der Regel nicht. Dass Menschen ausschließlich aufgrund von Kameras Coping-Strategien entwickeln, also auf die Machtdemonstration Kamera reagieren, erscheint bislang als Ausnahme, die auf sozial marginalisierte Gruppen begrenzt ist. So vermeiden es Jugendliche in Shopping Malls, länger in Gruppen an einer Stelle zu verweilen, Händler und Händlerinnen von illegalen Drogen sprechen unter den Kameras ihr Klientel nur noch an, übergeben die Ware jedoch woanders, politisch motivierte Straßenstände werden neben den Sichtbereich der Kamera verlegt etc. Die überwiegende Mehrheit dagegen nimmt die Kameras bislang gar nicht wahr oder ignoriert sie, womit die Auswirkungen auf das so oft betonte subjektive Sicherheitsgefühl marginal sein dürfte, selbst wenn in Umfragen zunächst Zustimmung signalisiert wird.

Die Wirkung von Videoüberwachung scheint bislang also gering zu sein. Politisch gesehen entsteht dennoch ein Problem: Verhaltenstransparenz wird vor allem hinsichtlich sozial benachteiligter und politisch schwacher Gruppen, also gerade sozial selektiv angestrebt. Darüber hinaus birgt das Sammeln von Daten ein enormes Missbrauchspotenzial für alle, die irgendwann Zugang zu diesen Daten bekommen.

Die Betonung innerer Sicherheit und damit auch der Einsatz von Videoüberwachung dient dazu, politische Handlungsfähigkeit zu suggerieren, die auf anderen Politikfeldern nicht mehr vorhanden oder erwünscht ist. Es sind insofern (macht-) politische und vor allem in privatisierten Räumen primär ökonomische Interessen, die hinter der Verbreitung dieser Technik stehen. Mit Kriminalitätsprävention oder auch Strafverfolgung haben sie nicht viel zu tun, denn auch bei der Aufklärung von Straftaten spielt diese Technik nur bei unter einem Prozent der Fälle eine Rolle.

*Dr. Jan Wehrheim ist Mitglied der AG Stadtforschung am Institut für Soziologie und bearbeitet das DFG-Projekt „Kontrolle und öffentlicher Raum“. Die Ausführungen sind Teil eines Vortrags anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Helge Peters.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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