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Das Ende der großen Erzählungen

33 Jahre Universität: Von überhitzten Dauerdiskussionen zur marktförmigen Durchstrukturierung / Von Rainer Fabian*

Fahrraddemonstration mit 1.000 Uni-Angehörigen nach Hannover (1976):
"Die Universität erschien als riesige Wohngemeinschaft".

 

"Es reicht! – Basta!“ Das ist im Kern die Botschaft, mit der – wenn auch in schöne Worte des Dankes gekleidet – dem 65-jährigen Staatsdiener die Tür der Universität gewiesen wird.
Es gibt viele Gründe dafür, warum Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen – Politiker, Selbständige, Bischöfe – sich schwer tun, diese im Grunde immer willkürliche Grenze für das Ende ihrer Berufskarriere zu akzeptieren: Macht, Identifikation mit dem Betrieb, Angst vor dem Rückfall in die Bedeutungslosigkeit. Auch in der Hochschule fällt es vielen Kolleginnen und Kollegen schwer, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Wenn ich nach 37 Jahren im Hochschuldienst, davon die letzten 33 Jahre in Oldenburg, mit einem gewissen Bedauern diese Universität verlasse, so hat das im Wesentlichen mit zwei Faktoren zu tun: Zum einen mit dem überaus privilegierten Arbeitsplatz an der Universität und zum anderen mit den spezifischen Erfahrungen, die ich in dieser Universität gemacht habe. Den ersten Punkt möchte ich nur kurz andeuten, den zweiten ausführlicher darstellen.

Es gibt kaum eine Institution, die ihren Mitgliedern, wenn sie erst einmal dauerhaft etabliert sind, so viele Möglichkeiten der Entfaltung bietet wie die Universität: Bei allen Vorgaben durch Hochschulgesetze und Studien- und Prüfungsordnungen erlaubt die Universität dem Einzelnen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung. Sie bietet dem, der es zu nutzen weiß, ein attraktives Netz für produktive wissenschaftliche wie private Kommunikation, sie ermöglicht Lernprozesse und zugleich die zeitnahe Reflexion derselben im akademischen Freundeskreis und nicht zuletzt die Möglichkeit, eigene Kenntnisse und Erfahrungen an die jüngere Generation weiterzugeben. Ich habe nie die Kollegen, namentlich die Professoren von der Jammerfraktion, verstanden, die immer wieder über die angeblich so miserablen Arbeitsbedingungen an der Universität geklagt haben.

Was sind nun die spezifischen Erfahrungen der Universität Oldenburg, die für mich von besonderer Bedeutung waren. Ich möchte sie in drei Phasen unterteilen:

Überhitzte Dauerdiskurse überpolitisierter Gruppen

Die erste Phase könnte man als die politischen Lehrjahre der Institution bezeichnen. Als ich vor über 30 Jahren nach Oldenburg kam, war die neu gegründete Universität von tiefen Widersprüchen bestimmt: Auf der einen Seite herrschte eine euphorische Aufbruchstimmung: Einphasige Lehrerausbildung, Projektstudium (Interdisziplinarität und Theorie-Praxisbezug), Orientierung der Linken nach außen: Arbeiterbildung, gewerkschaftliche Bildungsarbeit – nicht zufällig nannte sich die hochschulpolitische Gruppe, in die ich zu Beginn eintrat, AKG – Arbeitskreis Gewerkschaften.

Hochschulpolitisch war die Situation definiert durch die totale Politisierung inneruniversitärer Entscheidungsprozesse, durch ein starkes Engagement der verschiedenen Statusgruppen, aber auch durch eine rigide Lagermentalität mit dem entsprechenden Freund-Feind-Denken und durch z. T. hoch autoritäre Verkehrsformen – vor allem innerhalb der linken Gruppen. Manche schienen das VG (heutige A6) mit dem heimlichen Zentrum der Weltrevolution zu verwechseln, während doch alle nichts anderes verfolgten als ihren individuellen Marsch durch die Institution Universität oder profaner gesprochen: ihre Karriere.

Jede Entscheidung eines Gremiums wurde auf ihre allgemeine politische Bedeutung – gesellschaftliche Relevanz genannt – hin befragt, in Fachbereichsrat, Senat und Konzil wurden Schlachten geschlagen (eine Senatssitzung konnte schon mal 6-8 Stunden dauern, nicht eingerechnet die Vorbereitung innerhalb der eigenen hochschulpolitischen Gruppe, die Abstimmung mit anderen Fraktionen etc.). Ich selbst hatte bei meiner Bewerbung auf eine Soziologiestelle immerhin von der „Soziologie als der Didaktik der gesellschaftlichen Praxis“ gesprochen – und das auch so gemeint. Die Universität erschien als eine riesige Wohngemeinschaft im „überhitzten“ Dauerdiskurs, der bisweilen bizarre Grenzziehungen und geradezu perverse politische Inhalte generierte. Die Spannungen zwischen der dogmatischen und der weniger dogmatischen Linken entluden sich in spektakulären Debatten, so etwa anlässlich der Ausbürgerung Wolf Biermanns. „Das ist unsere Form von Berufsverbot“, sagte damals ein Anhänger der DKP (Deutsche Kommunistische Partei), also jener Partei, die, weil besonders betroffen, Berufsverbote aufs heftigste bekämpfte und im Wes-ten Solidarität von allen Demokraten erwartete.

Bei einer ebenfalls hoch politisierten Studentenschaft – in der Regel mit einer starken Koalition aus dem DKP-nahen MSB Spartakus und dem SPD-nahen Sozialistischen Hochschulbund (SHB) im AStA – konnte man sich in den ersten Jahren darauf verlassen, dass die vierte oder fünfte Semesterwoche eine Streikwoche war, was manch geschickter Kollege flexibel in seine Urlaubsplanung einzubeziehen wusste. Aber auch andere politische Orientierungen waren in der Studentenschaft vertreten. So musste ich mich in der Veranstaltung zur Politischen Ökonomie (die damals eher eine Art „Kapitalschulung“ war) mit dem Vorsitzenden der örtlichen NPD-Jugendorganisation auseinandersetzen; auf der anderen Seite versuchte eine Gruppe von Autonomen in einer Veranstaltung zum Terrorismus durchzusetzen, dass der Begriff „Terroristen“ durch „Stadtguerilla“ ersetzt werden sollte.

Der allgemein verbreitete starke antiautoritäre Impetus richtete sich auch immer wieder gegen die selbst gewählten Vertreter. Insbesondere die Rektoren und Präsidenten wurden – kaum von den linken Fraktionen gewählt und den Zwängen des Amtes unterworfen – zu Adressaten erbitterter Anwürfe.

Betrachtet man die Verkehrsformen der damaligen Zeit, so fällt die starke Uniformierung (Jeans und Parka) und das Fehlen jeglicher Rituale aus der akademischen Traditionskiste auf, die inzwischen zum Teil wiederbelebt wurden. Diese waren dem linken Diskurs ersatzlos zum Opfer gefallen. Selbst die Errichtung von Instituten galt als unschicklich – boten sie doch den Studierenden, den wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern nur verringerte Mitwirkungsrechte.

Die breite Ausstattung der Oldenburger Sozialwissenschaften (zeitweise mehr als 20 Stellen) erlaubte es den Kolleginnen und Kollegen ohne große Absprache untereinander ihre Spezialthemen, mit denen die Lehrenden ja auch berufen waren, anzubieten, wobei die „invisible hand“ hinter ihrem Rücken dafür sorgte, dass insgesamt ein der Prüfungsordnung entsprechendes reichhaltiges Lehrangebot vorhanden war. Das hat mir die Freiheit gegeben, mich Semester für Semester in neue Themen einzuarbeiten und dabei auch Kooperationspartner aus anderen Fächern zu suchen.

Die politische Einbettung des Einzelnen in „überpolitisierte“ Gruppen war ambivalent: Einerseits setzte sie enorme Produktivität frei – insbesondere in Lehrprojekten, die gemeinsame Lernprozesse von Lehrenden und Studierenden organisierten. Sie war dazu angetan, die Energie völlig unterschiedlicher psychischer Strukturen zu bündeln und Lernprozesse zu ermöglichen, die sonst unterblieben wären: Die These, dass das Private politisch sei, bewährte sich in vehementen Diskussionen über Be- und Erziehungskrisen einzelner Gruppenmitglieder. Aus dieser Zeit stammen einige meiner bis heute verlässlichsten Freundschaften in Oldenburg. Andererseits aber diente diese These auch dazu, die individuelle psychische Problematik Einzelner zu verbergen, indem alles Verhalten als politisches Verhalten gedeutet und damit rationalisiert wurde.

Hinwendung zur Subjektivität

Die zweite Phase kann eher als ein unauffälliger, fast heimlicher Paradigmenwechsel beschrieben werden. Zu Beginn der 80er Jahre lösten sich langsam die verhärteten Strukturen der hochschulpolitischen Gruppen. Die politische Phantasie wurde nicht mehr von gesamtgesellschaftlichen Transformationsperspektiven beflügelt. Politisch ging es von nun an nicht mehr um die Realisierung einer positiven Utopie allseits gutwilliger Menschen, sondern primär um die Abwehr von Problemen, die vom Menschen selbst mit geschaffen waren. Diese Abwehr organisierte sich eher in sozialen Bewegungen, die weit über die Grenzen etablierter politischer Gruppierungen – gar bloßer Hochschulfraktionen – hinausgingen: Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Ökobewegung, Frauenbewe-gung … . Auf Großdemonstrationen in Brockdorf, Hamburg oder Bonn (hier gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles) – von den immer noch überzeugten Klassenkämpfern als „Latschendemos“ karikiert – war die Fahrgemeinschaft zwar noch von den „Genossen“ der hochschulpolitischen Gruppe organisiert, aber man demonstrierte gemeinsam mit dem früheren politischen „Gegner“.

Auch an der Universität Oldenburg fand das „Ende der großen Erzählungen“ (Jean-François Lyotard) seinen Widerhall, z. B. in einer ‚Hinwendung zur Subjektivität’, gut nachvollziehbar in dem Veranstaltungsangebot der Sozialwissenschaften. Gleichzeitig – mit dem Wegfall der Einphasigen Lehrerausbildung – gab es an breiter Front einen bemerkenswerten „run“ auf Drittmittelforschung, die nun nicht mehr als „Gefahr für die Autonomie der Hochschule“ gewertet wurde, sondern als Möglichkeit, Bedeutsamkeit in der „scientific community“ zu erlangen. Damit entstanden neue Rivalitäten, und so fanden sich ehemalige Kampfgefährten nun plötzlich als Konkurrenten um Ressourcen und Prestige wieder. Zugleich zeigte sich ein ganz anderes Gesicht der Subjekte selbst: In dem Maße, wie die politische Patina der linken Gruppierungen zu bröckeln begann und nicht länger die unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen überdeckte, wurden die spezifischen Idiosynkrasien von Einzelpersönlichkeiten sichtbar. Der Hinwendung zur Subjektivität entsprachen nicht selten die kritische Betrachtung der eigenen Psyche und der Gang zum Analytiker.

Auf der anderen Seite zeigten sich Tendenzen der institutionellen Reorganisation, die in der hart umkämpften Gründung von Instituten gipfelte. In dieser Zeit kristallisierten sich die ‚Forschungslöwen’ heraus, die – gerade auch in den Sozialwissenschaften – erhebliche Drittmittel einwerben konnten.

Marktförmige Durchstrukturierung

Bei meinem Abgang befindet sich die Universität mitten in der dritten großen Umbruchphase, die durch die Einführung von BA- und MA-Studiengängen, die Finanzautonomie der Hochschule, die Einführung von Studiengebühren für Studierende und durch gigantische Umstrukturierungen infolge der bundesweiten Exzellenzinitiative bestimmt ist. Wir erleben gegenwärtig eine marktförmige Durchstrukturierung der deutschen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft mit unabsehbaren Folgen für die kleineren Universitäten, speziell für die Neugründungen der 70er Jahre. Letztere hatten insbesondere die Aufgabe, das Bildungspotenzial der jeweiligen Region zu mobilisieren. Das ist ihnen – nicht zuletzt durch eine angemessene Betonung der Relevanz der Lehre neben der Forschung – in großem Maße auch gelungen. Mit der Exzellenzinitiative hat die Universität zwei Möglichkeiten: Sie kann sich auf die Perspektive einstellen, in der 2. Liga zu spielen, mit einem breiten, innovativ neu geknüpften Fächerspektrum solide Forschung und anspruchsvolle Lehre zu verbinden und der Banalisierung von Wissenschaft auf das Niveau direkt verwertbaren Wissens („Verfachhochschulisierung“) zu entkommen. Sie kann aber auch versuchen, den Wettkampf um Exzellenzcluster mit der Generierung von „Leuchttürmen“ aufzunehmen – und dabei absehbar eine Niederlage nach der anderen einheimsen und schlussendlich an innerer Auszehrung und intellektueller Selbstdemontage verenden. Das letztere Konzept verbindet sich mit der Reduzierung einzelner Fächer zugunsten der „Neuen Exzellenzen“ und mit einer Absage an anspruchsvolle Lehre, wenn – zumindest in der BA-Phase – Lehrkräfte für besondere Aufgaben den Massenbetrieb bedienen sollen.

Vergleicht man die drei dargestellten Phasen im Hinblick auf die Autonomie der Hochschule, so könnte man sagen, dass in der ersten Phase mächtige politisierte Gremien einem relativ schwachen Rektor, aber einem kräftig in die Hochschule hineinregierenden Ministerium gegenüberstanden. Die Fahrraddemo von 1.000 Universitätsangehörigen nach Hannover gegen Kürzungspläne des Ministeriums sowie der Kampf um die Namensgebung waren eindrucksvolle Beispiele dieser Konfliktlinie. In der zweiten Phase – wesentlich durch die zwei Amtsperioden von Michael Daxner bestimmt – gab es eine deutliche Machtverschiebung zugunsten des Präsidenten. Gegenwärtig erleben wir eine offensive Aushöhlung demokratisch gewählter Gremien durch das Zusammenspiel externer Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit den Planungsphantasien eines Präsidiums mit gesetzlich festgelegten starken Kompetenzen.

Wenn ich nach 37 Jahren Hochschultätigkeit die Universität verlasse, so beschleichen mich ambivalente Gefühle: Eine aufregende, lehrreiche Zeit nimmt ihr Ende und insoweit möchte ich sagen: „Danke, alma mater“. Aber ich gehe in einer Situation, in der das Medusahaupt der manageriellen Mängelverwaltung immer deutlicher ihr betriebswirtschaftlich-bürokratisches Gesicht zur Schau stellt. Daran mitzuwirken, dass die Universität ihren Geist nicht aufgibt, schiene mir zwar aller Mühe wert. Aber der Zweifel, dass dies noch möglich sei, sitzt tief. Insoweit sage ich auch gerne: „Ciao, altes VG“.

*Dr. Rainer Fabian ist Soziologe. Der Akademische Oberrat ging im März in Pension.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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