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HERBST 2011
Hörgerät wiedergegebene „schrille Umwelt“ richtig umzu-
stellen. Deswegen ist es wichtig, hier so früh wie möglich
zu intervenieren. In jedemTelefon oder jedem Fernseher, in
jeder Stereoanlage und in jedem Raummuss die akustische
Präsentation so sein, dass Schwerhörigkeit als eine mögliche
Option gleich einbezogen ist. Wenn in jedem iPod auch
ganz selbstverständlich ein Hörgerät integriert ist – dann
sind wir erst am Ziel.
EINBLICKE: Inwiefernmuss das Hörgerät dafür auf bestimmte
Weise programmiert sein?
KOLLMEIER: Wir haben hier in Oldenburg das sogenannte
Master Hearing Aid entwickelt. Das ist eine Art Linux für Hör-
geräte. Es ermöglicht dem Forscher, mit Standardhardware
und Betriebssystemen die gewünschtenHörgerätefunktionen
so zu implementieren, dass man gleich einen Realitätstest
machen kann.Also ein Baukastensystemmit großemPotenzial.
Wir arbeiten eng zu-
sammenmit Forschern
der Leibniz Universität
Hannover, die sehr gut
solche Systeme minia-
turisieren undmassive Parallelverarbeitungen einbauen kön-
nen – diese von uns gefertigte Software läuft dann auf einem
möglichst kleinen und kompakten Prototypsystem.So stellen
wir tragbare Geräte her,die leistungsfähig genug sind, unsere
KonzeptedesmodellbasiertenHörsystems zu implementieren.
Das Ganze ist imCluster stark grundlagenorientiert.Dort geht
es nicht um ein kommerzielles Hörgerät, sondern um die auf
breiter Basis beruhende Algorithmik, die von Konzepten aus
Biologie, Psychologie und Physik beeinflusst wird.Wir suchen
also grundlegende wissenschaftliche und technologische
Lösungen für das„Schwerhörigkeitsproblem“.
EINBLICKE: Soll das projektierte Cluster auch Nachwuchswis-
senschaftlern eine Perspektive bieten?
KOLLMEIER: Unbedingt. Dafür planen wir die Joint Research
Academy quer über alle beteiligten Disziplinen und Hoch-
schulen hinweg. Wir integrieren Nachwuchsausbildung und
meinen damit nicht nur die klassische Promotionsförderung,
sondern die Phase vom Status des Postdoktoranden bis zur
Berufungsfähigkeit auf eine Professur. Die Oldenburger Hör-
forschung ist schon jetzt bekannt dafür, dass sie Absolventen
exzellente Entwicklungschancen in Wissenschaft und Indus-
trie bietet. Einer von ihnen ist Entwicklungschef eines Welt-
marktführers, andere sind Professoren, die weltweit führend
sind auf ihrem Gebiet. Das wollen wir weiter unterstützen
und zusammen mit den Kollegen aus Hannover ausbauen.
EINBLICKE: Wo sehen Sie die Chancen des projektierten Clu-
sters?
KOLLMEIER: Neben der inhaltlichen gibt es auch eine
wichtige strukturelle Komponente. Das Cluster ist das wis-
senschaftliche Rückgrat für das Auditory Valley – hier kann
man alles unter einem Dach finden. Wir möchten die ganze
Grundlagenforschungmit der Anwendung und der Industrie
verbinden. Auch da haben wir schon sehr gute Erfolge in Ol-
denburg, primär bei Hörgeräten und der Audiotechnologie.
Das Cluster würde die Möglichkeit bieten, unser weltweit
einmaliges Forschungsprofil weiter auszubauen und auch
international deutlich sichtbarer zu werden.
Matthias Echterhagen
Lokalisationstest in einer Hörkabine.
A localisation test in a hearing test booth.
„Wir möchten die Grundlagen-
forschung mit der Anwendung
und der Industrie verbinden.“