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FRÜHJAHR 2012
gelingt ihr zu zeigen,dass ihr Plan aufgeht.Die Kollegenwaren
schnell überzeugt – und auch die Genehmigung durch den
Vorstand ist plötzlich kein Problemmehr. Das gesamte Projekt
schwenkt umund folgt abermals einer Einzelinitiative – abseits
formaler Regeln und Wege.
Stehen diese formalen Regeln und Strukturen konstruktiver
Arbeit also nur imWeg? Sicherlich sind in Unternehmen,gera-
de in großen Konzernen, Regeln und Strukturen wichtig und
richtungweisend. Sie erleichtern denMitarbeitern ihren Alltag,
da sie Routinen ermöglichen und einen verlässlichen Rahmen
bilden. Der Soziologe Niklas Luhmann nennt organisationale
Strukturen das Gedächtnis von Organisationen. Sie bieten
Halt und Kontinuität.Mit
Strukturen und Regeln
sichern Organisationen
verlässliche Abläufe, Ef-
fizienz und nicht zuletzt auch die Koordination verschiedener
Arbeitsschritte. Allerdings sind diese Regeln, Routinen und
auch zahlreiche formale Prozesse nicht hilfreich, wenn es um
Innovationen geht. Regeln zeichnen sich ja gerade dadurch
aus, dass sich Altbewährtes wiederholt. Wie aber soll Neues
entstehen, wenn tagein, tagaus derselbe Vorgang oder die-
selbe Entscheidungsheuristik wiederholt wird?
Innovation in großen Unternehmen, die Entwicklung neu-
er Projekte ist also unmittelbar mit dem Ausbrechen aus
Routinen verknüpft. Das klingt revolutionär. Das klingt nach
Gehorsamsverweigerung, nach Untergrabung zuverlässiger
Strukturen und unternehmerischer Autorität. In gewisser
Weise ist es dies auch. Aber gleichzeitig sind Unternehmen
abhängig von solchen Regelverletzungen, da sie es sind, die
das Überleben und den Erfolg sichern. Wer interessiert sich
noch heute für die Produkte von gestern? Die Konsumenten
wollen immer bessere Produkte, die neuesten Technologien,
ein modernes Design mit allen Raffinessen.
Das Spannungsfeld zwischen Routine und Stabilität auf der
einen Seite und Erneuerung und Innovation auf der anderen
Seite zählt zu den großen Rätseln der Organisationsforschung.
Routine und Verletzung der Routine, beide Aspekte sind
unerlässlich, zugleich aber auch unvereinbar. Eine einfache,
schlechthin gültige Lösung für dieses Dilemma gibt es
nicht. Es lässt sich nur von Fall zu Fall lösen, indem man die
zugrunde liegenden Prozesse hinterfragt. Neben anderen
Fragestellungen beschäftigten sich die Oldenburger Sozial-
wissenschaftler Prof. Dr.Martin Heidenreich und Jun.-Prof. Dr.
Jannika Mattes im Projekt „Regionales Lernen in multinatio-
nalen Unternehmen“ auchmit diesemProblem. In den Jahren
2006 bis 2009 hat das Projektteam zehn Innovationsprojekte
deutscher und französischer Großkonzerne mit Intensivfall-
studien untersucht und ausgewählte Innovationsprozesse
nachgezeichnet. Ein Resultat: Organisationale Erneuerung
ist nicht in erster Linie das Ergebnis bewusster Planungen,
sondern entsteht durch Initiativen Einzelner.
Daher nennt auch Herr Schmidt seine Innovationsidee „sein
Baby“. Ideen wie seine werden von wenigen Menschen mit
viel persönlichem Engagement gehegt und gepflegt – bis
sie so weit gereift sind, dass sie in den Strukturen der Unter-
nehmen überleben können. Die exemplarisch dargelegten
flexiblen Innovationsprozesse werden so früh wie möglich
in Routineprozesse überführt.Viel stärker als von der Wissen-
schaft bislang angenommen, ist es vor allemeine geradlinige,
Regelverletzungen sichern
das Überleben und den Erfolg.
Leuchtet das Spannungsfeld zwischen Ausbruch und
Einhalten von Routinen aus: Jannika Mattes.
Shedding light on the tension between rule-breaking
and routine: Jannika Mattes.