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FRÜHJAHR 2012
POS I T ION
Entgrenzt das Studium!
Deutschland mangelt es an Akademikern. Im Unterschied zu anderen Ländern ist der Anteil der Hochqualifizierten
in den vergangenen 50 Jahren kaum gewachsen. Vor allem in den MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Natur-
wissenschaften und Technik – fehlen Studierende und Absolventen. Eine Ursache für das international schlechte
Abschneiden: Deutsche Hochschulen sind unzureichend auf die Anforderungen des lebenslangen Lernens aus-
gerichtet.
Anke Hanft, Heinke Röbken und Olaf Zawacki-Richter
Der „Normalstudierende“ ist immer noch die Figur, an der
sich deutsche Hochschulen ausrichten. Sein Weg ist vorge-
zeichnet: Er beginnt sein Studiumnach demAbitur.Nach dem
Masterabschluss wechselt er in die Berufstätigkeit. Die Orga-
nisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) hat längst eine andere Stoßrichtung vorgesehen. Sie
empfiehlt die Studierquote zu steigern – indem der Weg ins
Studium auch für andere Gruppen frei wird. Zum Beispiel
für Studienberechtigte aus einkommensschwachen und
bildungsfernen Familien oder für Studierwillige, die bereits
beruflich qualifiziert sind.
Doch in dem bundesweit vorherrschenden Regelstudium
kommen Berufstätige kaumvor. Eine Arbeitstätigkeit der Stu-
dierenden hat sich demStudiumunterzuordnen und sollte auf
die Semesterferien begrenzt sein. Es gelten: Vollzeitstudium
im Semesterrhythmus mit über die ganze Woche verteilten
Anwesenheitspflichten. Kaumeine Hochschule rechnet beruf-
liche Kompetenzen für das Studiuman.Und entwickelt Studi-
enangebote, die gezielt auf die Anforderungen Berufstätiger
zugeschnitten sind. Das deutsche Hochschulsystemkennt nur
einen Königsweg für ein erfolgreiches Studium: das Abitur.
Dabei entspricht diese Ausrichtung am„Normalstudierenden“
längst nicht mehr der Realität. Der Anteil berufserfahrener
Studierender inDeutschland liegt nach Zahlen einer 2010 ver-
öffentlichten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
und des Hochschul-Informations-Systems mit 64 Prozent im
internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch. Knapp
ein Viertel aller Studierenden haben eine Berufsausbildung