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FRÜHJAHR 2012
Patienten bekommen seit jeher dieses lebensnotwendige
Medikament in Spritzen verabreicht. Alle Versuche, eine Ta-
blettenform zu entwickeln, sind gescheitert. Herr Schmidt,
Angestellter eines großen deutschen Pharmakonzerns, will
sich damit einfach nicht zufrieden geben.Er wälzt Fachlektüre,
fährt zu der einen oder anderen Konferenz. Dabei entsteht
die Idee, eine völlig andere Wirkstoffkombination zu entwi-
ckeln. Sein Chef ist einverstanden, dass er ein paar Stunden
seiner Arbeitszeit in diese Idee steckt.Es ist die Geburtsstunde
eines Medikaments, in dessen Entwicklung mehrere Milliar-
den fließen werden. Für das Unternehmen wird es zu einem
„Blockbuster“.
Dass aus Ideen Einzelner strategisch wichtige Projekte wer-
den, ist in Großkonzernen nicht die Ausnahme, sondern die
Regel.Gerade Innovationsprozesse verlaufen zunächst weder
gradlinig,noch sind sie strategisch durchgeplant.Umbei dem
Beispiel zu bleiben: Die Konzernzentrale und die Chefetage
haben erst ein knappes Jahr später von dem Vorhaben er-
fahren. Erst dann wurde aus der Idee von Herrn Schmidt ein
offizielles Projekt.
Ähnlich sieht es in einem deutschen Transportunternehmen
aus, das durch eine handfeste Ingenieurskultur geprägt ist.
Die Ideenskizze für das Projekt, das der Konzern heute als
strategischwichtige Erfindung vermarktet, lag jahrelang in der
Schublade eines Mitarbeiters. Nirgends fand er offene Ohren
für seine Idee. Jahre später trifft er bei einer internen Konferenz
denMitarbeiter eines anderen Standorts.Dieser hat eine Idee,
die gut zu seiner passt. Sie beschließen, ihre Erfindungen zu
kombinieren und gemeinsam für die Umsetzung zu kämpfen.
Aus leidvoller Erfahrung wissen beide, wie schwierig es sein
wird, daraus ein offizielles Projekt zu machen. Daher starten
sie zunächst imStillen:Einer simuliert das Gesamtvorhaben zu
Hause am eigenen Computer. Sie kommunizieren per E-Mail
und überlegen sich,wen sie mit einbeziehen müssen, um die
Durchsetzungschancen zu erhöhen. Bevor das Projekt offizi-
ell beantragt wird, haben etliche Personen bereits jahrelang
daran gearbeitet.
Beide Beispiele zeigen, dass Innovationen nicht als strate-
gisch angelegte Projekte in den Vorstandsetagen entstehen.
Vielmehr ist gerade bei der Initiierung von Entwicklungs-
vorhaben das Engagement Einzelner entscheidend. Einen
solchen Gedanken hat schon der Innovationstheoretiker
Joseph Schumpeter Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert:
Erfolgreiche Innovationen sind in seinen Augen Einzelper-
sonenprojekte, und ihr Erfolg hängt in erster Linie davon ab,
wie der„Entrepreneur“ seine Erfindung vermarktet. Eine Idee
gut zu verkaufen – in Schumpeters Augen auf dem freien
Markt, in modernen Unternehmen aber auch intern gegen-
über den geldgebenden Stellen – wird damit zum zentralen
Erfolgskriterium für Innovation.
Wie aber werden aus solchen Einzelpersonenprojekten dann
große Entwicklungen, an denen eine Vielzahl an Beteiligten
mitwirkt? Von diesemWandel ist bei den eingangs betrachte-
ten Erfindungen zunächst noch wenig zu spüren. So hat Herr
Schmidt im Pharmakonzern eine kleine Gruppe Vertrauter
um sich geschart, die ihm mit ihrem Expertenwissen zur Sei-
te stehen. Natürlich weiht er in dieser frühen Phase nur die
ein, denen er voll und ganz vertrauen kann.Währenddessen
kämpfen die beiden Mitarbeiter des Transportunternehmens
weiter zu zweit für ihre Erfindung. Sie haben realisiert,dass sie
die Konzernzentrale einbeziehenmüssen,umGehör zu finden.
Neben guten Argumenten sind Zähigkeit und Durchhaltever-
mögen nötig, bis die Konzernzentrale mehrere Jahre später
vomProjekt überzeugt ist.Denn Innovation stellt auch immer
das Etablierte,Alther-
gebrachte, in Frage.
Schumpeter spricht
gar von „schöpfe-
rischer Zerstörung“. Und die beiden Ingenieure würden dem
sicherlich zustimmen: ImVergleich zur strategischenVorarbeit
erscheint ihnen die eigentliche Entwicklungsarbeit später
geradezu trivial.
Im Pharmakonzern kämpft nach über einem Jahr Arbeit eine
inzwischen zehnköpfige Gruppe um Herrn Schmidt weiter
für die Verwirklichung der Idee. Die Mitarbeiter haben es hier
deutlich schwerer als ihre Kollegen imTransportbereich,denn
in der Pharmaindustrie sind selbst kleine Anpassungen an
einmal definierte Strukturen zu späteren Projektzeitpunkten
kaum noch möglich. Zunächst erforscht die Gruppe eine
Wirkstoffkombination. Eine Mitarbeiterin, FrauMayer, glaubt
allerdings, dass eine andere Kombination erfolgsverspre-
chender sei.Eine solche Neuausrichtungwird aber nicht ohne
Weiteres vomVorstand genehmigt.Daher haltenHerr Schmidt
und sein Team am ursprünglichen Konzept fest. Frau Mayer
startet ihre eigenen Versuche inoffiziell und alleine, und es
Transportunternehmen: Von der Idee zum
vermarkteten Erfolgsprojekt.
Transport company: From an idea to a
marketed success.
Innovationen entstehen nicht als
Projekte in den Vorstandsetagen.