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HERBST 2012
GEBKEN: So könnte man es sagen. Integration heißt dann für
mich, dass alle Kinder mitspielen können. Wirklich alle. Die Fra-
ge ist doch: Wie sollen Kinder mit fünf undmehr Geschwistern
am Vereinssport teilnehmen, wenn die Eltern das überhaupt
nicht finanzieren können? Deshalb geht der schwierige Trans-
fer, den wir leisten, über die niederschwelligen Angebote in
den Schulen in die Vereine. Über die Institution Schule sind
die Kinder bundesweit dabei.
EINBLICKE: Nutzen können Sie auch die integrative Kraft des
Fußballs selbst …
GEBKEN: Ja, es ist so einfach: Ein Ball, zwei Tore. Überall kann
man spielen. Das gilt auch für Mädchen – vorausgesetzt, die
Eltern erlauben es. Beim Fußball kommt es darauf an, dass
man seine Rolle in der Gruppe findet. Dadurch werden die
Kinder wirklich in ein soziales Gefüge integriert. Bei einem
Individualsport wären sie nur für sich. Der zweite großartige
Punkt: Migrantische Kinder erhalten durch die Erfolge im
Fußball sehr viel Wertschätzung. In der Schule, aber auch in
den Elternhäusern. Sinnbild ist immer der Pokal. Wenn der
durch die Schule getragen wird, dann ist das für die Kinder
ein großartiger Moment – der für viele so nie wieder kommt.
EINBLICKE: Um auf Ihr Hochschulprojekt aufmerksam zu ma-
chen, haben Sie von Anfang an die Öffentlichkeit gesucht.
Sogar die New York Times hat breit berichtet.
GEBKEN: Ja, auch für die Universität gibt es eine Verpflichtung
zur Öffentlichkeitsarbeit. Wir wollten Vereine, Verbände,
Schulen mitnehmen. Nicht nur auf die englischsprachige
Zeitschrift schauen, wo man als Wissenschaftler Punkte er-
gattert, wenn man dort veröffentlicht. Wir wollten die Men-
schenmitnehmen, die solche Projekte ermöglichen. Nicht nur
Sportwissenschaftler, sondern Vereinsvorsitzende, Schulleiter,
Oberbürgermeister. Das ist ganz wichtig. Das fordere ich auch
bei meinen Kollegen in Deutschland stärker ein.
EINBLICKE: Sie meinen Ihre Kollegen der Wissenschaft, auch
in anderen Disziplinen?
GEBKEN: In den lokalen Raum, in das Gemeinwesen, in die
Region zu transportieren, was man untersucht und welche
Erkenntnisseman gewonnen hat – dafür gibt es keinen Ersatz.
Unser Projekt wird ja heute
nur noch gelobt, manchmal
ist das beängstigend (
lacht
).
Aber funktioniert hat das
alles, weil wir uns auf die Kärrnerarbeit eingelassen haben,
mit den Schulen ins Gespräch zu kommen und die dortigen
Befindlichkeiten herauszufinden.
EINBLICKE: Was muss sich noch ändern, damit mehr sozial
benachteiligte Kinder eingebunden werden können?
GEBKEN: Ganz klar: Wir können das benachteiligte Milieu nur
erreichen, wenn wir sehr früh in diese Kinder investieren. Die
Kita-Pflicht für sozial benachteiligte Kinder, die ist ganz wich-
tig. Durch sie nehmen die Kinder früh an Bewegungs- und
Sprachförderung teil. Ich denke, dass die Möglichkeiten, die
Bewegungsförderung in den Kindertagesstätten zu fördern,
noch nicht ausreichend erkannt sind. Das heißt überhaupt
nicht, dass wir dort Fußball spielen müssen. Darum geht es
nicht.
EINBLICKE: Sondern?
GEBKEN: Wir haben eine Untersuchung zu Eltern-Kind-Ange-
boten in sozialen Brennpunkten gemacht. Und festgestellt: Die
gibt es bundesweit gar nicht. Wie sollen die Kinder da eine
Chance haben, Anschluss zu finden? Im Bildungssystem und
im Sport? Und wir wissen: Sprache und Bewegung hängen
eng miteinander zusammen. Ganz eng. Das hat man immer
unterschätzt. Man kann eigentlich Sprache nur fördern, wenn
man auch die Bewegung fördert. Die Bewegung kann man
auch nur fördern, wenn sich die Kinder auch artikulieren
können. Diesen Zusammenhang hat der Essener Sportwis-
senschaftler Werner Schmidt erforscht, mit dem wir eng
zusammenarbeiten.
EINBLICKE: Es geht Ihnen nicht nur um die Integration be-
nachteiligter Kinder, sondern auch um Kompetenzgewinn:
Sie bilden in den Fußball-AGs Jugendliche als Helfende und
Übungsleiter aus.
GEBKEN: Wir haben da Schätze in unserer Gesellschaft. Ge-
waltige Schätze. Zum Beispiel Hayet, die arabischer Herkunft
ist und im Ruhrgebiet vor vier Jahren als Fußballassistentin
ausgebildet wurde. Heute leitet sie zwei Mädchenmannschaf-
ten. Damals hat es ihr Vater verboten, an der Ausbildung teil-
zunehmen und eine Mannschaft zu betreuen. Heute steht sie
imMedienfokus des Ruhrgebiets, weil sie das so primamacht.
Ich glaube, dass es Jugendliche wie Hayet überall gibt. Man
muss sie nur gewinnen – dadurch, dass sie sich engagieren
dürfen und dafür Anerkennung bekommen.
Matthias Echterhagen
Wir haben uns auf die
Kärrnerarbeit eingelassen.“
Nach dem Spiel: „Beim
Fußball kommt es darauf
an, dass man seine Rolle
in der Gruppe findet.“
After the game: "What´s
important in football is
finding one´s role within
the group."