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HERBST 2012
külen verwendet werden. Lysosomen werden daher auch als
Müll-Recycling-Anlage“ bezeichnet. Sie sind am autopha-
gischen Prozess maßgeblich beteiligt.
In frühen elektronenmikroskopischen Aufnahmen entdeckten
die Forscher membranumhüllte Bläschen, die cytoplasma-
tische Bestandteile und sogar ganze Organellen enthielten,
wie beispielsweise Mitochondrien – das sind die Kraftwerke,
die unsere Zellen mit Energie versorgen. Inzwischen sind die
Schritte, die zumAbbau von cytoplasmatischen Bestandteilen
und Zellorganellen führen, sehr gut untersucht. Zunächst wird
imCytoplasma (der wässrigen Substanz im Inneren der Zellen)
eine doppellagige Membran ausgebildet (Phagophore), die
sich vergrößert und Teile des Cytoplasmas und Organellen
umschließt. So entsteht ein Autophagosom. Letztendlich
verschmelzen Autophagosomen mit den Lysosomen, und
so genannte Autolysosomen bilden sich. Im Autolysosom
werden die Bestandteile mit Hilfe der lysosomalen Enzyme
zerlegt oder „verdaut“ und das wieder verwertbare Material
ins Cytoplasma entlassen. Auf diese Weise erneuern Zellen
kontinuierlich ihren Inhalt und befreien sich von unliebsamen,
schadhaftenBestandteilen. Autophagosomen arbeiten immer,
bilden sich aber vermehrt bei Stress-Situationen, wie etwa
einemMangel an Nährstoffen, oder durch schädliche Einwir-
kungen aus der Umgebung.
Neben dem lysosomalen Abbau können Proteine auch in
einem anderen System, dem so genannten Proteasom abge-
baut werden. Hier werden vor allem kurzlebige cytoplasma-
tische Proteine entsorgt. Das
als „Abfalltonne“ bezeichnete
Proteasom besteht aus vielen
verschiedenen Proteinein-
heiten, die zu einer fässchenartigen Struktur zusammenge-
lagert sind. Größere Eiweißschollen können das Eingangstor
zum Fässchen aber nicht durchdringen und müssen über
den lysosomalen Weg verschrottet werden. Autophagie ist
somit der einzige Prozess, durch den große Substrate wie
Proteinklumpen und Organellen abgebaut werden können.
Beide Prozesse, die Entsorgung durch Lysosomen oder Prote-
asomen, stehenmiteinander in enger Kommunikation. Wenn
der eine gehemmt ist, kann unter Umständen der andere in
Aktion treten.
Die zelluläre Qualitätskontrolle durch Autophagie ist beson-
ders imNervensystem von großer Bedeutung. Da Nervenzel-
len sich nicht mehr teilen, kann der Ballast von fehlgefalteten,
unnützen Proteinen und von beschädigten oder gealterten
Organellen wie Mitochondrien durch Verteilung auf die
Tochterzellen nach der Zellteilung nicht „verdünnt“ werden.
So wird vermutet, dass eine fehlerhafte Müllentsorgung zu
Proteinklumpen in Gehirnzellen führt, die die Zellen verstop-
fen, zelluläre Vorgänge behindern und den Zelltod auslösen.
Es gibt Hinweise von verschiedenen Forschergruppen, dass
gestörte Autophagie, also zum Beispiel ein abgeschwächtes
Selbstverdauungssystem, an Krankheitsprozessen im Gehirn
beteiligt ist. In Mäusen mit ausgeschalteter Autophagie wur-
den neuronale Degenerationsprozesse und das Auftreten von
Proteinaggregaten beobachtet. Gehirne von Alzheimer Pati-
enten zeigen ein erhöhtes Vorkommen vonAutophagosomen.
Man vermutet, dass diese Vakuolen zwar vermehrt gebildet
werden, aber deren Verschmelzung mit den Lysosomen und
somit die Verdauung gestört ist.
Unsere Forschungsgruppe konnte kürzlich nachweisen, dass
Proteinablagerungen in den Gehirnen von MSA-Patienten
Komponenten enthalten, die auf einen fehlerhaften Ablauf
des autophagischen Prozesses hindeuten. In einemZellkultur-
Modell haben wir zudem Proteinablagerungen erzeugt, die
denen im lebendigen Organismus gleichen. Es ist uns gelun-
gen, diese Ablagerungen anschließend durch eine Stimulie-
rung der Autophagie wieder zu entfernen und so die zelluläre
Überlebensstrategie zu simulieren.
In den letzten 25 Jahren hat es enorme Fortschritte gegeben,
die die molekularen und klinischen Grundlagen neurode-
generativer Krankheiten weitgehend verständlich machen.
Allerdings gibt es bislang keine Heilungschancen. Die welt-
weiten Forschungsaktivitäten lassen jedoch hoffen, dass in
den nächsten Jahren Therapien entwickelt werden, die diese
Krankheiten verhindern oder heilen.
Zellen erneuern
kontinuierlich ihren Inhalt.
Heilungschancen bei neurodegenerativen
Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer
sind derzeit noch nicht in Sicht.
A cure for neurodegenerative diseases like
Alzheimer's is not in sight at present.