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Stefanie Sievers-Glotzbach

1. November 2021   191/21    Forschung  

Gemeingutbasierte Pflanzensorten als Basis für eine klimarobuste Landwirtschaft   

Oldenburger Studie zeigt, dass eine gemeingutbasierte Pflanzenzucht dazu beiträgt, die Landwirtschaft an sich verändernde Klimabedingungen anzupassen

Oldenburg. Wenn Nutzpflanzen-Sorten von vielen Züchterinnen und Züchtern gemeinschaftlich entwickelt und danach frei für den Anbau zur Verfügung stehen, fördert dies die Sortenvielfalt und macht Landwirte unabhängiger von internationalen Märkten. Die sogenannte gemeingutbasierte Züchtung und Saatgutproduktion trage daher dazu bei, die Landwirtschaft widerstandsfähiger zu machen – so das Ergebnis einer Studie von Prof. Dr. Stefanie Sievers-Glotzbach von der Universität Oldenburg und Lea Kliem vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin. Die Forscherinnen stellten ihre Analyse kürzlich in der Fachzeitschrift International Journal of Agricultural Sustainability vor.

Für Bäuerinnen und Bauern war es noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts selbstverständlich, Sorten frei zu verwenden, das Saatgut zu tauschen und die kultivierten Pflanzensorten auf den Feldern weiterzuentwickeln. Die moderne Saatgutindustrie basiert im Gegensatz dazu jedoch darauf, dass Sorten Unternehmen gehören, die für den Anbau Gebühren verlangen und das Saatgut exklusiv verkaufen. Die Voraussetzung dafür sind Patente und Sortenschutz, aber auch technische Verfahren wie die Züchtung sehr ertragsstarker Hybridsorten, aus denen sich aber kein brauchbares Saatgut gewinnen lässt. Für Landwirtinnen und Landwirte entstehen in diesem Zusammenhang immer mehr Abhängigkeiten von wenigen großen Unternehmen. Aus ökonomischen Gründen setzen diese Unternehmen auf wenige Hochleistungssorten, zu denen sie auch die passenden Dünge- und Pflanzenschutzmittel herstellen. Diese Hochleistungssorten reagieren aber sensibel auf weniger optimale Anbaubedingungen und sind nicht an lokale Gegebenheiten des Bodens oder des Klimas angepasst.

Kleine Unternehmen und Initiativen, die Sorten als Gemeingut begreifen, verfolgen im Kontrast dazu einen anderen Ansatz: Sie lassen sich von dem Prinzip leiten, dass Nutzpflanzensorten zum gemeinsamen kulturellen Erbe gehören und kein Privateigentum sein sollten. Die Beteiligten teilen ihr Wissen miteinander, stellen gemeinsam Regeln für die Nutzung der Sorten auf und verzichten auf den Sortenschutz.

In ihrer Studie wollten Kliem und Sievers-Glotzbach herausfinden, welchen Einfluss die beiden Formen des Umgangs mit Sorten auf die Resilienz der Landwirtschaft haben – also auf die Fähigkeit von Agrarökosystemen, sich an Veränderungen wie den Klimawandel oder Krankheiten anzupassen und trotz solcher Störungen die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Die Forscherinnen wählten insgesamt 14 Indikatoren, um den Einfluss der Saatgutherstellung auf die Resilienz der Landwirtschaft zu ermitteln. Zu diesen Kenngrößen zählten etwa die Variabilität von Lieferketten, die Verfügbarkeit regional angepasster Sorten, der Aufbau von Saatgutbibliotheken oder die Wirtschaftlichkeit der Saatgutproduktion.

Anhand der Indikatoren analysierten die Ökonominnen Nachhaltigkeitsberichte und Broschüren konventioneller Saatguthersteller im deutschsprachigen Raum und verglichen sie mit Publikationen ausgewählter Betriebe und Initiativen, die Saatgut gemeingutbasiert herstellen. Das Ergebnis: „Der gemeingutbasierte Umgang mit Sorten weist gegenüber der gängigen Praxis großer Saatgutunternehmen deutliche Vorteile auf“, erklärt Sievers-Glotzbach, an der Universität Oldenburg Leiterin der vom Bundesforschungsministerium geförderten Nachwuchsgruppe „RightSeeds“. „Statt einiger weniger Hochertragssorten, die nur unter optimalen Anbaubedingungen gedeihen, geht es den gemeingutorientierten Züchterinnen und Saatgutproduzenten um vielfältige Sorten, die sich an regionale Besonderheiten und an veränderte klimatische Bedingungen anpassen können.“

Ein weiteres Ergebnis: „Wir haben beobachtet, dass die gemeingutorientierten Initiativen einen stärkeren Fokus auf Kooperation legen, und dass die Entscheidungsstrukturen eher dezentral und partizipativ angelegt sind“, berichtet Kliem. Das begünstige ebenfalls die Sortenvielfalt und führe dazu, dass regional angepasstes Saatgut entwickelt werde, so die Forscherin. Die Analyse zeigte allerdings auch, dass gemeingutorientierte Initiativen bislang noch kein Finanzierungsmodell entwickeln konnten, in dem die hohen Kosten für die arbeitsintensive Züchtung neuer, angepasster Sorten mittelfristig abgesichert wären. Kliem und Sievers-Glotzbach empfehlen daher langfristige Förderprogramme und bessere politische Rahmenbedingungen für die gemeingutbasierte Pflanzenzucht.

Die Nachwuchsgruppe „RightSeeds“ ist eine Kooperation der Universität Oldenburg mit dem IÖW und der Universität Göttingen. Die Forschenden untersuchen in enger Kooperation mit Praxispartnern das Potenzial gemeingutbasierten Saatguts für eine nachhaltige Landwirtschaft. Das Vorhaben wird vom Bundesforschungsministerium im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung gefördert.

Originalveröffentlichung: Lea Kliem & Stefanie Sievers-Glotzbach (2021): “Seeds of resilience: the contribution of commons-based plant breeding and seed production to the social-ecological resilience of the agricultural sector”, International Journal of Agricultural Sustainability, DOI: 10.1080/14735903.2021.1963598

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Prof. Dr. Stefanie Sievers-Glotzbach, Tel.: 0441/798-2854, E-Mail:

(Stand: 19.01.2024)  | 
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