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Hochschulzeitung UNI-INFO

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Hansjürgen Otto:

Immer weniger Zeit für Forschung?

"Immer weniger Zeit für Forschung?" Unter diesem Titel veröffentliche Uwe Schimank Ende vergangenen Jahres erste Ergebnisse seiner Befragung von ProfessorInnen. Inzwischen ist seine vollständige Habilitationsschrift "Hochschulforschung im Schatten der Lehre" erschienen - diesmal ohne Fragezeichen. Anfang 1995 lag auch die Erhebung von Jürgen Enders und Ulrich Teichler zum "Berufsbild der Lehrenden und Forschenden an (westdeutschen) Hochschulen" vor, gleichzeitig ihr Bericht über die parallel durchgeführten Befragungen in zwölf anderen Ländern. Schon vor diesen Veröffentlichungen hatten Hildegard Schaeper "Die Arbeitssituation der Lehrenden an westdeutschen Universitäten" untersucht, Botho von Kopp und Manfred Weiß ihre Umfrageergebnisse unter der Fragestellung "Zufrieden und produktiv trotz Überlast?" publiziert. - Einen Überblick über alle diese Studien in Kurzfassungen, ergänzt um Rezensionen aus Wissenschaft, Verbänden und Presseorganen bietet seit Ende 1995 auch der von Enders und Teichler herausgegebene Sammelband "Der Hochschullehrerberuf".

Diese wahre Flut von Analysen der Arbeitssituation deutscher HochschulwissenschaftlerInnen ist ungewöhnlich. Nur selten waren früher breitere empirische Erhebungen durchgeführt worden, oft auch nur beschränkt auf Teilgruppen wie den wissenschaftlichen Nachwuchs. Es scheint, daß während der letzten Jahre im Zusammenhang mit der (auch international) in und über die Hochschulen verbreiteten Krisenstimmung die Neugier auf die Einschätzungen der Hochschullehrenden gewachsen ist.

Aus den - erstaunlich homogenen - Ergebnissen dieser Studien können hier nur einige wenige dargestellt werden. Schimanks Fragestellung "Haben UniversitätsprofessorInnen angesichts der immer größeren Studierendenzahlen bei gleichzeitiger Stagnation der Wissenschaftlerstellen immer weniger Zeit für die Forschung, weil sie von den Lehrverpflichtungen aufgefressen werden?" ist in dieser Zeit von besonderer Bedeutung. Ergebnis: Deutsche HochschullehrerInnen an Universitäten sehen sich mehrheitlich eher forschungs- als lehrorientiert (ET1: 66 %), wünschen sich erheblich mehr Zeit für die Forschung (Schi2: Steigerung um mehr als die Hälfte), schätzen aber die Zukunftsaussichten für die Hochschulforschung nur knapp befriedigend ein (Schi2: "Note" 4,46 auf einer Skala von 0 = aussichtslos bis 10 = bestens). Damit dürften die Forschungsmöglichkeiten doch als sehr beengt empfunden werden.

Andererseits sagen dieselben Professor-Innen, daß sie mehr Zeit für Forschung als für Lehre aufwenden können (ET1: im Jahresdurchschnitt für Forschung 37%, für Lehre 34 %) - was mit dem Humboldtschen Ansatz harmoniert, daß ProfessorInnen mit gleichem Gewicht lehren und forschen sollen. Wenn man das Zeitbudget nur für die Veranstaltungszeiten herausgreift, kann man auch Vergleiche über einen längeren Zeitraum herstellen: 1976/77 betrug der Forschungsanteil neben den laufenden Lehrverpflichtungen 23 % (Infratest), 1983/84 27 % (Allensbach), 1990/91 28 % (Schi2), 1992 27 % (vKW) bzw. 29 % (ET1). Das läßt sogar auf ein begrenztes Wachstum des Forschungsanteils parallel zum starken Wachstum der Studierendenzahlen und zum entsprechenden Rückgang der Lehrenden/Studierenden-Relation schließen. So konstatiert auch die Mehrheit der ProfessorInnen keinen Rückgang ihrer Forschungsproduktivität (vKW: 67 %).

Die anfangs gestellte Frage muß aufgrund dieser Erhebungen klar mit einem Nein beantwortet werden und wirft damit neue Fragen auf: Wieviel Zeit müssen, wieviel Zeit wollen deutsche ProfessorInnen der Ausbildung der Studierenden widmen? Die genannten Studien halten viel Datenmaterial zur Beantwortung dieser Fragen und zur Analyse unserer Hochschulsituation bereit. Ihnen wäre ein breites Interesse seitens der Lehrenden und auch der Studierenden zu wünschen.
Hansjürgen Otto

Die Publikationen

In Klammern jeweils die im Text verwendeten Quellenkürzel: Enders/Teichler (ET1), Berufsbild der Lehrenden und Forschenden an Hochschulen, BMBF 1995; Enders/Teichler (ET2), Der Hochschullehrerberuf im internationalen Vergleich, BMBF 1995; v. Kopp/Weiß (vKW), Zufrieden und produktiv trotz Überlast? Zeitschrift für Bildungsverwaltung, 1993, S. 23 ff.; Schaeper (Schä), Zur Arbeitssituation von Lehrenden an westdeutschen Universitäten, HIS Kurzinformation A 12/94; Schimank (Schi1), Immer weniger Zeit für die Forschung? Beiträge zur Hochschulforschung 1994, S. 685 ff.; Schimank (Schi2), Hochschulforschung im Schatten der Lehre, Campus 1995; Enders/Teichler (Hrsg.), Der Hochschullehrerberuf, Luchterhand 1995

Thomas Höpner:

Der Campus

Das Geschenk meiner Mitarbeiter habe ich in ein paar Stunden heruntergesüffelt, so wie man mit einer Schale Weihnachtsplätzchen und einem Fläschchen Likör nicht aufhören kann, bevor sie leer sind. Das Magendrücken kommt gleich danach. Difficile est satiram non dicere, auf Deutsch, wem die Gabe der Satire gegeben ist, dem geht der Gaul durch, alles niederreitend, darunter etliche meiner heiligen Güter. Wer meiner hochschulpolitischen Generation angehört, wird auch bei geringer Sensibilität verärgert sein. Schwanitz ist dazu vielleicht um kleine vier Jährchen zu jung. Auf seinem Campus gibt es keine Universitätsmitglieder, nur deren Karikaturen. Daß manche Personen und Situationen klar zu identifizieren seien, könnte Hamburger Problem bleiben, doch wir sind zu nahe dran. Die Vorstellung, daß sich Leser brüllend auf die Schenkel klopfen, graust mich, denn sie werden es nicht nur wegen des hemmungslosen Klamauks tun, in den sich Schwanitz immer wieder hineinsteigert. Was da an Mafien und Seilschaften konstruiert wird und was auf Präsidium, Gremien, Frauenbeauftragte, StudentInnen und C2-Professoren herunterprasselt, ist nicht mehr satirisch, nur noch boshaft. Das Buch hat das Zeug zum Bestseller - auf Kosten von Kolleginnen und Kollegen, auf Kosten der Studentinnen (Studenten, gibts die?) und auf Kosten der Universität norddeutscher Prägung.
Dietrich Schwanitz, Der Campus. Roman. Eichborn, Frankfurt 1995.
Thomas Höpner


Besser als bloße Theorie:

Exkursion in Länder des Südens

Nach Rückkehr aus Ländern des südlichen Afrika mehr Fragen als Antworten / Bestehende Kontakte ausgebaut

Im Herbst 1995 hielt sich eine Gruppe von 19 StudentInnen und einem Hochschullehrer der Universität Oldenburg im südlichen Afrika auf. Die Exkursion bildete den Endpunkt einer dreisemestrigen Veranstaltung, die von Prof. Dr. Gottfried Mergner (Studiengang "Interkulturelle Kommunikation") angeboten wurde. Zielländer waren Zimbabwe, Namibia und Südafrika.

Während der Vorbereitungszeit setzten sich die TeilnehmerInnen mit der Frage des "Reisens" auseinander und damit, was mit Reisenden und Bereisten geschieht. Diskussionsanregungen gaben hierzu Reiseberichte und -literatur aus verschiedenen Epochen. Daran schloß sich der Themenbereich "Reisen in Länder des Südens" (sog. "Dritte Welt") mit seinen besonderen Fragestellungen und Problemen an (Exotik, Stereotypen, Fremdheit, Tourismus etc.). Parallel dazu waren die Geschichte, die Beziehungen der Länder untereinander und die aktuelle Situation Themen der Vorbereitung.

Es stellte sich die Frage: Kann Reisen die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen bzw. Menschen verschiedener Kulturen fördern? Die Region des südlichen Afrika war unter anderem Ziel der Exkursion, weil sich in den drei Ländern, vor allem aber in Südafrika, Lebenswelten sowohl der "Ersten" wie der "Dritten Welt" nebeneinander finden, die durch das System der Apartheid verursacht und statisch voneinander getrennt waren (sind). Interessant sind vor diesem Hintergrund die folgenden Fragen: Was ändert sich für die Nachbarstaaten nach dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika, welche Strategien gibt es, die enorme Ungleichheit zu überwinden und welche Rolle spielt dabei die Kommunikation zwischen den verschiedenen tatsächlichen und konstruierten kulturellen Gruppen?

Konzeptionelle Voraussetzungen für die Reise waren:

- Reisen in Kleingruppen (3-5 Personen);
- Aufenthalt von mindestens 3-4 Wochen in einem Projekt;
- gemeinsame Auswertungswoche.

In diesem Rahmen bildeten sich fünf Kleingruppen, die sich nach Interessenschwerpunkten zusammenfanden. Diese Gruppen stellten selbständig den Kontakt zu Projekten im sozialen, pädagogischen oder touristischen Bereich in ihrem gewählten Zielland her und organisierten ihren Aufenthalt.

Eine Gruppe besuchte eine "Commmunity Based Organization" in dem Dorf Quagas in Zimbabwe. Kernstück dieses Projekts ist eine Mühle, deren finanzielle Ertragsüberschüsse seit 1989 in infrastrukturelle Neuerungen investiert werden, die der gesamten Gemeinde zugute kommen (wie z.B. der neue Bewässerungskanal).

Vier Teilnehmerinnen hospitierten in einer Einrichtung für körperbehinderte Menschen in Bulawayo (Zimbabwe). Hier werden Behinderte innerhalb von drei Jahren für einen handwerklichen Beruf ausgebildet. Diese Ausbildung soll ihnen ermöglichen, später einmal außerhalb dieses Zentrums zu arbeiten.

Kontakt wurde auch von einer Kleingruppe zur ersten nichtweißen, gemeinwesenorientierten Tourismusorganisation in Namibia aufgenommen. Im Land lernte die Gruppe mehrere Projekte (Craftcenter, Museumsdörfer, Campingplätze) kennen, die alle unter dem Dachverband NACOBTA (Namibian Community Based Tourism Association) zusammengeschlossen sind. NACOBTA strebt einen größeren Einfluß im ökonomisch interessanten Tourismussektor an, der bisher von weißen UnternehmerInnen dominiert wird.

Das Missionsprojekt THEMBA TRUST ("Hoffnung/Vertrauen") in Dirkiesdorp (Südafrika) wurde von drei Studierenden besucht. Gegründet wurde diese Institution 1986, sie gehört der evangelisch-lutherischen Kirche an. Neben Einrichtungen des Gesundheitswesens zählen hierzu auch weiterführende Schulen, z. B. eine Mädchenoberschule, eine landwirtschaftliche Jungenoberschule und eine Station für Suchtkranke.

Der bereits bestehende Kontakt zu Dr. Neville Alexander ermöglichte einer Gruppe, mehrere Projekte im Bereich der Grundbildung und Alphabetisierung in Kapstadt und Umgebung kennenzulernen. Dr. Neville Alexander ist Direktor des PRAESA (Project for the Study of Alternative Education in South Africa), einem an der University of Cape Town angesiedelten Projekt, in das auch die Erfahrung langjähriger pädagogischer Arbeit im Widerstand einfließt. Maßgeblich an der Entwicklung neuer Bildungskonzepte und Curricula für das neue, andere Südafrika beteiligt, arbeitet PRAESA mit vielen Gruppen im ländlichen und städtischen Raum zusammen.

Für alle TeilnehmerInnen war überraschend, welche Vielzahl von Projekten und Initiativen mit sehr viel Kreativität in den verschiedenen Bereichen tätig sind. Durch den Aufenthalt und die persönlichen Kontakte sowie die Möglichkeit, verschiedene Seiten kennenzulernen, wurde für die meisten TeilnehmerInnen das Bild, das sie von den besuchten Ländern hatten, stark verändert.

Während der gemeinsamen Auswertungswoche in Tsitsikamma (Südafrika) entwickelten die Studierenden aus den subjektiven Erfahrungen und Erlebnissen gemeinsame, weiterführende Fragestellungen. Die Ergebnisse - aber auch die noch offenen Fragen - sollen in das weitere Studium miteingebracht werden.

Nach diesen sieben Tagen gemeinsamer Reflexionsarbeit in Tsitsikamma besuchte die Gruppe auf Einladung von Dr. Janina Wozniak (German Department) die University of Port Elizabeth. Anläßlich eines Aufenthalts an der ehemals "schwarzen" VISTA University (ebenfalls in Port Elizabeth), wurden den Gruppenmitgliedern die Nachwirkungen der durch die Apartheid verursachten Ungleichheiten im Bildungssystem nochmals vor Augen geführt. Die Überwindung dieser "alten" Strukturen wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen ...

Abschließend bleibt zu sagen, daß wir natürlich mit mehr Fragen als Antworten zurückgekehrt sind und nur einen Bruchteil der Realität und Problematik dieser Länder erfaßt haben. Trotzdem sind wir der Ansicht, daß das Zusammenspiel von theoretischer Auseinandersetzung mit praktischer Erfahrung und Reflexion die Qualität des Studiums verbessert. Wir sind uns einig, daß die bestehenden Kontakte gepflegt und weiter ausgebaut werden müssen.

Für die freundliche organisatorische und menschliche Unterstützung danken wir Dr. Janina Wozniak, Dr. Neville Alexander und den vielen anderen Menschen, die uns so herzlich aufgenommen und geholfen haben.
Anja, Kilian, Mecky, Zdravko

Gold-Card Harvard:

Oldenburger Doktorandin berichtet von ihrem Aufenthalt an der US-amerikanischen Eliteuniversität

Die Erziehungswissenschaftlerin und Doktorandin Anja Eckhardt (28) verbrachte von November 1994 bis September 1995 einen zehnmonatigen Forschungsaufenthalt an der Universität von Harvard in Cambridge/Massachusetts. Sie befaßte sich mit dem Thema Kindesmißhandlung in den USA. Im folgenden ein Reise- und Erfahrungsbericht.

Die USA sind anders. Wildfremde Menschen loben deine Sommerbräune oder die Tempoplastikhülle, die du als Lesezeichen nutzt. Schaust du andere an, lächeln sie und fragen sofort, wie's geht. Trittst du im Gedränge auf einen Fuß, entschuldigen sich die betroffene und noch fünf weitere Personen, mindestens. Körperliche Distanz mußt du vergrößern. Rechtwinkelig verbiegen sich KellnerInnen, um aus der Entfernung noch Speisekarten kommentieren zu können. Sie machen nichts lieber, als gerade dich in diesem Moment zu bedienen, aber iß schnell. Und rauche nicht. Stark gechlortes Wasser bekommst du überall an den Wasserfontänen umsonst (Deutschland hat keine? Was trinkt ihr denn?). VerkäuferInnen sind überschwenglich freundlich und bedienen dich die ganze Nacht hindurch. Immer ist Schlußverkauf und wichtigste Ladeneinrichtungen sind verschiedene "Sale!"-Schilder. SekretärInnen schreiben dir Zettel, um sich für ihre zweiminütige Verspätung zu entschuldigen.

Im Waschsalon laden dich wildfremde Menschen zum Thanksgiving-Fest ein. Das Piepsen der vielen, offensichtlich erregten Eichhörnchen entpuppt sich nach Wochen als elektronische Wegfahrsperre der Autos. KassiererInnen ziehen Kronkorken mit der Hand vom Flaschenhals, und lächeln, wenn du ihre Bärenstärke mit offenem Mund bewunderst. Dann stellst du fest, daß Kronkorken ein Gewinde haben. Ist praktisch. Alles ist auf die Erleichterung alltäglicher Probleme ausgerichtet. Kochen brauchst du nie. Milch mit normalem Fettgehalt gibt es nur in Spezialläden, die Steigerung von "low fat" ist "flying cow", dafür werden dieser absolut fettfreien, weißen Flüssigkeit Vitamine zugefügt. Waschmittelkartons tragen die warnenden Schockfarben unserer Kloreiniger, auch riecht der Inhalt anders. In Gospelgottesdiensten bestaunst du Hüte und wirst immer wieder mitgerissen, im Gesang oder nach vorne zum Spenden. Hingegen spricht im Gottesdienst der QuäkerInnen niemand, anderthalb Stunden lang. Ein Stuhl ist nach dreißig Jahren eine Antiquität, eine tausend Jahre alte Kirche unvorstellbar. Und ein Familienstammbaum mit europäischen Vorfahren unentbehrlich - um leichter voranzukommen.

Saubere und kostenlose Klos: Amerika ist anders

Amerika ist multikulturell. Political Correctness ist keine Frage und für dich oft ohne Sinn. Amerika ist anders. Wechselst du am Strand, ruckzuck, das Badezeug unterm Handtuch, ist das ein Sittlichkeitsvergehen. Breite Spalten in den Trennwänden öffentlicher Toiletten erlauben Blickkontakt mit der Nachbarin. Die Sanitäranlagen sind immer sauber und umsonst. Abendnachrichten schildern den Auffahrunfall eines Rentners aus Worchester (sprich: Wuster!), sein Dackel erlitt eine Platzwunde; drei ReporterInnen sind vor Ort, Hintergrundbericht: "Schalten amerikanische Ampeln richtig?" Werbung ohne Vorwarnung: ein schlankes Paar verfeinert seine Bratkartoffeln mit "Ich-kann-nicht-glauben-es-ist-keine-Butter-Spray". Du staunst, eine riesige Käseglocke schirmt die politische Führungsnation vom Rest der Welt ab. Leiden AmerikanerInnen im Ausland, wird das Desinteresse unterbrochen. Ansonsten geht das Leben der Filmsterne vor. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander. In armen Vierteln steigst du nicht aus dem Taxi, sondern drückst die Knöpfe herunter und dich in den Sitz. Private Spendenbereitschaft ist ein soziales Netz. Das Klima wird kälter. Lästern mit AusländerInnen schützt (spinnst du jetzt oder die?) und festigt die europäische Gemeinschaft. Das Fest geht von 8.30 bis 10.45 (p.m.), amerikanisches Leben ist hektisch. Wir sehen uns. Die USA sind einfach anders schön.

Der Vorschlag der Carl von Ossietzky Universität, an einem Studienaufenthalt an der Harvard University Graduate School of Education (HGSE) teilzunehmen, gab den Ausschlag, mich dort zu bewerben. Das war im Mai 1992 und ich steckte im Diplom. Die Vorbereitung des Aufenthaltes zog sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hin. Über dreißig Briefwechsel waren nötig. Als es im November 1994 losging, war ich mittlerweile Doktorandin bei Prof. Dr. Jost von Maydell und erhielt das GradFöG-Stipendium des Fachbereichs Pädagogik sowie ein Zusatzstipendium des DAAD.

Als Associate in Education und Visiting Scholar konnte ich in den kommenden zehn Monaten meine Forschungen betreiben und am Geschehen der Harvard-Universität teilnehmen. Dieser Status beinhaltete einige Vorteile wie die Bereitstellung eines eigenen Büros, privilegierte Ausleihbedingungen für Literatur und besonders die Umgehung der Studiengebühren von ca. $ 20.000. Mir standen Lehrangebote wie Seminare oder Vorträge offen und Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive, Sportstätten oder Computerlabore zur Verfügung. Ich bemühte mich schnell um Einbindung in verschiedene AG's und nahm an Seminaren in verschiedenen Fakultäten teil. Dies erwies sich als äußerst vorteilhaft für meine Arbeit und beugte der Gefahr der Vereinsamung vor. So einige rauchende Köpfe, isoliert durch die ungewohnte Sprache, verstrickt in ihre Recherchen und nicht eingegliedert in ein System, brechen vorzeitig die Zelte ab. Ein strikter Arbeitsplan und die Bereitschaft zum Mitmischen rettet durch Tiefs hindurch. Für mich war es insgesamt ein zwar sehr stressiger, aber äußerst erfolgreicher Forschungsaufenthalt.

Von Vaclav Havel und Barbra Streisand bis Doris Lessing

Harvard ist ein Dienstleistungsunternehmen, und Kosten sowie Verdienstausfall, die auf Studierende zukommen, läßt diese selbstbewußt Leistung einfordern. Eine Professorin, die zwar im Veranstaltungsverzeichnis steht, aber ein Forschungsfreisemester genommen hat, löst z.B. harsche Proteste aus. Den Studierenden, die die Aufnahmeprozeduren überwunden haben (10 - 30 Prozent, je nach Fakultät), steht an der HGSE ein streßbeladenes Jahr mit wenig Freizeit und hohen Anforderungen bevor. Verlangt werden acht 10- bis 20-Seiten Arbeiten, aktive Mitarbeit und außeruniversitäres Engagement. Geboten werden neben international anerkannten Lehrkräften aktive Karriereförderung, Symposien, Konferenzen und RednerInnen wie Vaclav Havel, Barbra Streisand, José Castaneda, Robert McNamara, Vaclav Klaus, Paulo Freire, Robert Reich oder Doris Lessing. Beim Durchblättern des Veranstaltungskalenders gingen mir so manches Mal die Augen über.

Harvard besitzt, zusammen mit dem angegliederten Radcliffe College, der ehemaligen Frauen-Universität, das weltweit größte universitäre Bibliothekssystem. Über 11 Mio. Bücher und zusätzlich Microfilme, Manuskripte etc., sind in 90 Bibliotheken gelagert. Meine Favoritin war die Widener, die berühmteste und größte. Sie ist unterirdisch verbunden mit zwei weiteren Bibliotheken, von denen die eine drei Stockwerke unter die Erde gebaut ist. Dort sind die Bücher, ebenfalls aus Platzmangel, in Metallregalen untergebracht, die auf Knopfdruck auseinanderschweben. Der Geruch alter Bücher macht süchtig und Harvard stellt in dieser Hinsicht eine große Gefahr dar.

Harvard ist reich. Die Uni besitzt ca. 500 Gebäude, große Landflächen und, wie der "Inofficial Guide to Life at Harvard" schelmisch veröffentlichte, fünf Milliarden US-Dollar irgendwo in der Schweiz. Auch die Gelder Ehemaliger fließen, und so tragen Häuser, Stipendien oder Professuren den Namen der SpenderInnen. Derart ausgestattet kann sich Harvard die Politik der "need-blindness" leisten, was bedeutet, daß die Studierenden nach Leistung und nicht nach dem Geldbeutel (der Eltern) ausgewählt werden. 60 Prozent von ihnen erhalten Finanzierungshilfen in Form von Stipendien oder Krediten. Mit der Politik der "Affirmative Action" wird durch die Senkung der Aufnahmebedingungen für Volksminoritäten die gesellschaftliche Chancenungleichheit anerkannt und konsequent verbessert. Außerdem wird vielen AusländerInnen der Zugang zu Harvard ermöglicht. Bei all den positiven Voraussetzungen ist es kein Wunder, daß Harvard 33 Nobel- und 31 Pulitzer-PreisträgerInnen hervorgebracht hat!

Schlüsselpositionen mit dem "Gold-Card"-Diplom

Harvard ist nicht nur die älteste, sondern auch die berühmteste Universität der USA. Ihr Diplom heißt im Volksmund 'Gold-Card' und eröffnet Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Harvardstudierende werden als zukünftige FührerInnen der Welt betrachtet, sie gelten als Genies. Eine Anerkennung, die auch die Schattenseite birgt, als arroganter Snob geschnitten zu werden. Das Gefühl, einer besonderen Gemeinschaft anzugehören, ist überall sicht- und spürbar. Und so verwunderte es mich nicht, als in meinem Fach die Nachricht an die "Gemeinschaft" lag, daß der Präsident Rudenstine nach einem Schwächeanfall auf Anraten seines Arztes eine mehrtägige Ruhepause einlegte. Wir wünschten ihm gute Besserung.

Studierende und Lehrende stehen unter enormem Leistungsdruck. Bei ersteren wird der Name nur mit der Jahreszahl des angestrebten Studienabschlusses gedruckt, und letztere erhalten Zeitverträge und dürfen froh sein, im Lebenslauf "Harvard" stehen zu haben. Im Frühjahr kam es zu einer Tragödie, als eine Studentin ihre Zimmergenossin erstach, eine andere verletzte und sich dann erhängte. Die Gemeinschaft zeigte sich entsetzt über den Fall. Verwunderlich fand ich, daß dabei der offensichtliche Leistungsdruck, der zu dem Unglück geführt hatte, kaum diskutiert wurde.

Gekrönt wird die Tortur am Ende der Ausbildung von einem oder mehreren Jahren Dauer mit der Commencement-Zeremonie. Angesichts meiner anonymen Diplomübergabe wurde ich neidisch bei all den feierlichen Roben, generalstabsmäßig geplanten Veranstaltungen, Scharfschützen auf den Dächern und glückselig dreinblickenden Gesichtern. An dem Tag ließ ich mir die undankbare Aufgabe übertragen, vor Freude weinende, hysterische Eltern daran zu hindern, ihren Sprößlingen auf dem Weg zur Zeugnisübergabe um den Hals zu fallen. So gelang es mir, mich mit dem Zug der ca. 600 erziehungswissenschaftlichen DiplomandInnen und 70 DoktorandInnen zu den restlichen 20.000 roten und schwarzen Roben im Harvard-Yard zu schmuggeln, zusätzlich zu 20.000 Gästen, die eine Eintrittskarte ergattert hatten. Schwarzmarktpreise von $100 sind üblich, aber wer zahlt die nicht, bei landesweiter Liveübertragung. Auch die Verleihung des Doktortitels ist sehr feierlich. Nach einem kleinen Vortrag zur Arbeit und Persönlichkeit der KandidatInnen legen Doktormutter oder -vater ihnen die Robe um die Schultern.

Bis zu diesem Zeitpunkt sind die meisten DoktorandInnen eingebunden in ein striktes System: sie lernen und lehren in Klassen, arbeiten eng mit dem/ der ProfessorIn zusammen und werden von einem Team betreut. In diesem Sinne von Bekannten ermutigt, trat ich an eine Koryphäe auf dem Fachgebiet Social Policy heran, mit dem Resultat, daß Prof. David G. Gil (Brandeis University) sich bereit erklärte, meine Dissertation mit zu betreuen.

Insgesamt kann ich nur begeistert von meinem Aufenthalt in Harvard schwärmen. Besonders profitierte ich von der angenehmen Lernatmosphäre und dem amerikanischen System des 'networking'. Das amerikanische Universitätssystem macht vor, daß Konkurrenz konstruktiv sein kann und Alter sowie Hierarchie keine Hindernisse sein müssen. Oder sollte meine Erfahrung durch die Tatsache getrübt werden, daß Harvard eine Eliteuniversität ist und zum Vergleich nicht zur Verfügung steht? Für (Kontakt-) Anfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Anja Eckhardt, (Tel.: 0441/87830).


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(Stand: 19.01.2024)  | 
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