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"Viele beneiden uns, dass wir das Gröbste hinter uns haben"

Karen Ellwanger zum Bachelor- und Masterstudium

Wie an anderen deutschen Universitäten auch, verläuft der von der EU geforderte Übergang in die neue Studiengangsstruktur mit Bachelor- und Masterabschlüssen nicht ohne Reibungsverluste. Die Vizepräsidentin für Lehre, Prof. Dr. Karen Ellwanger, ist dennoch überzeugt, dass die Universität die richtigen Entscheidungen getroffen hat.

UNI-INFO: Frau Ellwanger, im vergangenen Jahr wurde die Bachelor- und Masterstudienstruktur in weiten Bereichen der Universität eingeführt. Ab kommendem Wintersemester ist die Studienreform flächendeckend umgesetzt. Hat die Universität den Schritt zu früh gemacht?

ELLWANGER: Nein, das finde ich nicht. Man kann sicherlich einige Probleme aussitzen, aber bei den entscheidenden bringt das nur neue Probleme. Ich finde nach wie vor, wir haben uns richtig entschieden und nutzen durch den frühen Einstieg Gestaltungsmöglichkeiten, die Nachzügler in geringerem Umfang haben werden. Viele beneiden uns darum, dass wir das Gröbste hinter uns haben - die Universitäten, die jetzt erst einsteigen, tun sich offensichtlich nicht leichter bei der Umsetzung. Insofern haben wir einen Vorsprung.

UNI-INFO: Reibungsverluste sind dennoch nicht zu übersehen. Wo sehen Sie das Hauptproblem?

ELLWANGER: Im Mentalitätswandel, den dieser prinzipielle Schritt „from teaching to learning“ bedeutet. Etliche Kolleginnen und Kollegen haben sich noch nicht klar gemacht, dass es bei der Umstrukturierung auch um die Verbesserung der Lehre geht. Es geht um einen Perspektivenwechsel, erweiterte Lehr-Lern-Formen und nicht z.B. um eine Neuverpackung von Vorlesungen und Quasi-Vorlesungen, genannt Seminare, mit 80 Teilnehmern und mehr, durch die - wie in Überlastzeiten - möglichst viele Studierende geschleust werden. Die neue Struktur vom Workload über Lernziele, die Prüfungsform und neue Arten der gemeinsamen Gestaltung von Modulen geben uns eine Chance zur Verbesserung. Und die sollten wir nutzen und nicht die Übergangsschwierigkeiten, die diese Universität unbestritten hat und haben muss, auf die neue Studienstruktur abwälzen. Sie kann auch nicht für die konkreten Konflikte und Probleme herhalten, die einzelne Fächer oft schon vorher hatten.

UNI-INFO: Es gibt ja nicht wenige Lehrende, die der Reform - gelinde gesagt - sehr skeptisch gegenüberstehen. Haben Sie Verständnis, dass sie das vor den Erstsemestern austragen?

ELLWANGER: Nein, das ist nicht zu verantworten, das möchte ich hiermit ganz klar sagen. Natürlich stößt jeder Umgestaltungsprozess in einer großen Institution auf Widerstände. Dafür habe ich in gewisser Weise auch Verständnis. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn das auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen wird.

UNI-INFO: Viele Studierende klagen über das Maß an Lehrverpflichtungen und auch an schriftlichen Arbeiten, die sie leisten müssen. Ist das berechtigt?

ELLWANGER: Teilweise ja. Es gibt eine sehr viel höhere Verbindlichkeit als vorher, zumindest in vielen Fächern. Und es gibt weitaus mehr Prüfungen. Also wird weitaus mehr eingefordert. Das ist richtig. Manche Fächer haben auch versucht, die Inhalte von Magister, Staatsexamen oder Diplom in den Bachelor zu quetschen. Da ist es zu Fehlberechnungen des Workload gekommen, die nachtariert werden müssen. Auf der anderen Seite habe ich die ersten Anträge von Studierenden, die offensichtlich zu geringen Workload haben. Die sagen: Können wir bitte schon nach dem fünften Semester abschließen?

UNI-INFO: Dann teilen Sie die Kritik nicht, dass das verschulte Bachelorstudium zu viel Stress führt, aber wenig zum reflektierten Nachdenken?

ELLWANGER: Nein, die Chance des Bachelorstudiums ist es tatsächlich, Raum zu schaffen für den Kern des Studiums. Nachdenken, beobachten, lesen, schreiben, experimentieren, argumentieren, abwägen, dokumentieren, analysieren - genau dafür soll Raum geschaffen werden. Das alte Studium hatte fiktive Literaturlisten mit 20, 30 Büchern und alle wussten insgeheim, dass die nicht wirklich gelesen werden können. Jetzt geht es darum, eine Auswahl zu treffen über das Material, um Raum zu schaffen für die Kernkompetenzen des Studiums.

UNI-INFO: Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?

ELLWANGER: Bei der konkreten Beschreibung der Module, bei den Prüfungsformen und bei der Berechnung des Workloads. Da müssen wir einiges tun, damit es nicht zu Fehlberechnungen kommt.

UNI-INFO: In zwei Jahren werden wir die ersten Abschlüsse haben. Wagen Sie eine Voraussage darüber, ob dann alle in dieser Universität überzeugt sind, dass die schnelle und umfassende Einführung der neuen Studienstruktur richtig war?

ELLWANGER: Natürlich nicht alle, aber doch die entscheidende Mehrheit. Und ich hoffe sehr, dass nicht nur die jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die die neuen Strukturen meist im Ausland schon kennen gelernt haben, als Motoren wirken und ein produktives Klima der Akzeptanz und der Förderung schaffen. Es gibt Entscheidungen, die sind gefallen. Darüber anhaltend zu jammern, ist destruktiv. Stattdessen brauchen wir unsere Energie für die Vorbereitung und Fundierung der Entscheidungen, die nun konkret anstehen.

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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