Kontakt

Presse & Kommunikation

+49 (0) 441 798-5446

Hochschulzeitung UNI-INFO

Uni-Info Kopf

Inhalt 2/2010

Thema

Die Wissenschaftsblogger

Dynamik in der Forschungsberichterstattung: "Soziale Medien" wie Blogs oder Twitter binden die Öffentlichkeit ein und erlauben Wissenschaftlern eine direkte Darstellung ihrer Arbeit. Erste Oldenburger Forscher machen bereits davon Gebrauch / Von Matthias Echterhagen

 

Eintreten in die Blogosphäre: Für die Nutzung sozialer Medien, wie z.B. Twitter (r.), sei ein gutes Zeitmanagement nötig, meint der ehemalige Oldenburger Student und Biologe Tobias Maier. Foto/Grafik: iStockphoto (l.), Per Ruppel


Universität Oldenburg, Rechenzentrum, an einem nasskalten und grauen Morgen im Winter 1998: Der freiberufliche Dozent, der in den Browser Netscape Navigator einführen soll, nimmt einen Schluck Kaffee. Dann beginnt er zu reden. Von dem Internet und davon, wie man dorthin kommt. Von Modems, Kilobytes und der sagenhaften Geschwindigkeit, mit der sich der Browser öffne. Die sechs TeilnehmerInnen versuchen zu folgen. Start-Button? Rechte Maustaste? Manche hören so etwas zum ersten Mal. Mit nervös zittrigen Fingern klicken sie sich ins Internet. Und sehen, wie sich die erste Webseite in Zeitlupentempo aufbaut.

Universität Oldenburg, im Dezember 2009. Es ist Uni-Streik. „Oldenburg brennt“ lautet der Blog, der zum Informationsforum des Protestes wird. Über Twitter fragt gerade jemand nach Unterstützung für die Kochgruppe. „Meldet Euch bitte bei Christina (blond-grüne Dreads).“ Ein Klick ins Netz hat nun nicht mehr viel zu tun mit dem Besuch des Internet wie noch vor rund zehn Jahren: Netscape Navigator gibt es nicht mehr, „Community“ lautet das Schlagwort, und soziale Medien wie Twitter und Blogs sind in nahezu allen Bereichen angekommen – auch in der Wissenschaft und der Kommunikation von Forschungsergebnissen. Der Dialog von Wissenschaft und Gesellschaft müsse „neue Medien für die Kommunikationsstrategien und -formate stärker nutzen“, fordern etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ in einem Perspektivenpapier im November vergangenen Jahres, und nehmen dabei die ForscherInnen selbst in die Pflicht: „Da der Dialog mit der Öffentlichkeit zu den selbstverständlichen Aufgaben eines Wissenschaftlers gehört, müssen seine Leistungen in der Wissenschaftskommunikation ein Beurteilungskriterium in allen Förder-, Evaluierungs- und Berufungsverfahren werden“.


Was sind soziale Medien? Laut der freien Enzyklopädie Wikipedia versammeln sich unter diesem Schlagwort „Soziale Netzwerke und Netzgemeinschaften (…), die als Plattformen zum gegenseitigen Austausch von Meinungen, Eindrücken und Erfahrungen dienen.“ Ob Twitter, jene tagebuchartigen, bis zu 140 Zeichen langen Einträge, die NutzerInnen direkt aufs Handy, als E-Mail bekommen oder einfach von dem Twitter-Account im Netz lesen können, Blogs oder Facebook – als unumstritten gilt, dass die neueren elektronischen Kommunikationsformen nicht einfach nur dem Austausch von Belanglosigkeiten dienen oder der allseits beklagten Informationsflut Vorschub leisten müssen. Sie lassen sich auch sehr effizient für die Vermittlung von Wissenschaft einsetzen.

Ein Beispiel ist der Blog „Nachhaltige Wissenschaft“ des Oldenburger Wirtschaftswissenschaftlers und Nachhaltigkeitsexperten Prof. Dr. Uwe Schneidewind. Der Blog hat inzwischen mehr als 3.000 BesucherInnen angezogen, versammelt wichtige Leitpapiere zum Thema und bindet Interessenten über Kommentar-Funktionen in den Dialog ein. Das macht auch Tobias Maier in seinem Blog „WeiterGen“. Der Biologe, von 1995 bis 1997 als Vordiplom-Student an der Universität Oldenburg und nun Postdoc am Center for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona, ist Vertreter einer heranwachsenden Forschergeneration, die wie selbstverständlich soziale Medien in ihre alltägliche Arbeit integriert.

Ob Klimawandel, Vorlesungen von Nobelpreisträgern oder gefälschte Proteinstrukturen – kein Thema scheint für Maier zu weit weg zu sein, um nicht auch darüber zu berichten. Maiers fachlich fundierte Einträge zur Schweinegrippe und dem Impfstoff waren im November die am häufigsten gelesenen Artikel der kommerziellen Blogplattform ScienceBlogs. Das Interesse freut den ehemaligen Oldenburger Studenten, der Bloggen als sein Hobby bezeichnet. „Gutes Zeitmanagement und Übung beim Schreiben erlauben es, dass ich Vollzeit meiner Arbeit als Postdoc in einem Forschungslabor nachgehen kann und gleichzeitig noch, mehr oder weniger regelmäßig, Artikel im Blog publiziere.“

Doch braucht das eigentlich jemand? Muss man solche und andere Blog-Beiträge lesen, um informiert zu sein? Sicher ist die Lektüre wissenschaftlich fundierter Blogs nicht unerlässlich. Doch sind sie eine spannende Ergänzung zu dem, was in den klassischen Medien steht, die über nur wenig Platz für Forschung und Wissenschaft verfügen. Und nicht zuletzt können sich ForscherInnen direkt und ungefiltert mit ihren Ergebnissen an die interessierte Öffentlichkeit wenden – und damit Interesse für ihre Arbeit und die Wichtigkeit von Forschung generell erzeugen.

Maier schätzt die Bedeutung von Blogs für das Bild von WissenschaftlerInnen in der Öffentlichkeit hoch ein. „Wissenschaftler gehen abends aus, haben Freunde, interessieren sich für verschiedenste Themen und sind genauso wie alle anderen auch am Zeitgeschehen beteiligt. Bloggende Wissenschaftler schreiben darüber. Vielleicht helfen diese Blogs das klischeebehaftete und falsche Bild in der Gesellschaft vom Wissenschaftler im Elfenbeinturm etwas gerade zu rücken.“

Forschung und ihre Ergebnisse allgemeinverständlich in der Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist Ziel einer ganzen Reihe von Initiativen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind – von der PUSH-Initiative (Public Understanding of Science and Humanities), über den Communicator-Preis bis hin zu den vielen Projekten des Oldenburger Wissenschaftsjahrs, die scheinbar Entlegenes aus dem Elfenbeinturm für die Öffentlichkeit aufbereitet und dabei Menschen für den Sinn von Wissenschaft begeistert haben. Dass dabei Formate wie Blogs eine neue Dynamik in Forschung und Medien bringen, davon zeigt sich die Wissenschaftsjournalistin Beatrice Lugger überzeugt. „Über die Blogs umgehen junge Forscher manche hierarchische Strukturen der deutschen Forschungslandschaft und bringen frischen Wind ins Gefüge“, schreibt sie in ihrem Artikel „Die puren Stimmen der Wissenschaft“ im Magazin „Gegenworte“. Das freilich lässt sich nicht nachprüfen, doch unbestritten ist, dass die neueren Medien mit ihren zahllosen Partizipationsmöglichkeiten eine größere Wirkung bei NutzerInnen erreichen können als klassische Medien. Für Lugger öffnen sich in Blogs die Türen „verschlossener Labor- oder Denkerräume“, und sie betont dabei die besondere Authentizität, jenen unmittelbaren Ton, das „Pure“, „Unzensierte“, wenn WissenschaftlerInnen in Blogs an der Meinungsbildung selbst partizipieren – und auf Bindeglieder wie Redakteure gar nicht mehr angewiesen sind.

Nun ist es nicht so, dass JournalistInnen plötzlich überflüssig geworden sind, besitzen sie doch jene professionelle Distanz und Kompetenz, die nötig ist, wissenschaftlich komplexe Sachverhalte näher zu bringen. Zudem gibt es in Deutschland noch relativ wenige Blogs etablierter WissenschaftlerInnen. Mehr als drei Viertel der 326 befragten Personen aus Wissenschaft, Bildung, Forschung und Lehre, Public Relations und Journalismus gaben in einer Ende 2009 erstellten Trendstudie des Fraunhofer Forschungsverbunds für Informations- und Kommunikationstechnik zur Wissenschaftskommunikation in Deutschland gar an, auf eigene Blogs bzw. Microblogging-Dienste wie Twitter zu verzichten und in direkten Rückmeldungen einer breiten Öffentlichkeit keinen Mehrwert zu sehen.

Eine ernüchternde Botschaft, die aber sicher nicht der letzte Stand bleiben wird. Schließlich hat die Online-Kommunikation in der Wissenschaft ihre Ursprünge, weiß der Oldenburger Professor für Entrepreneurship Dr. Alexander Nicolai. „Bisher hat sich aber noch keine auf Wissenschaftler spezialisierte Online-Community komplett durchgesetzt“, so Nicolai. Bleibt abzuwarten, wohin sich die Blogosphäre und Microbloggingdienste in der Wissenschaft entwickeln. Sicher ist, dass sich auch ForscherInnen mit ihrer Hilfe – jenseits des fachlichen Austausches – hervorragend verabreden können. „Bin in Zürich“, twittert Tobias Maier an einem Abend im Januar 2010 in die Menge. „Jemand Lust auf ein Bier?“


Forschung 2.0

"Mindcasting“ lautet die neue Methode, mit der WissenschaftlerInnen den Microblogging-Dienst Twitter nutzen. Mindcasting bedeutet, dass Fachleute relevante Links zu Artikeln, Konferenzen oder Nachrichten über Twitter verbreiten. Auf diese Weise werden KollegInnen regelmäßig und hochaktuell über den neuesten Stand des eigenen Forschungsgebiets informiert. Mindcasting steht damit im kompletten Gegensatz zum sogenannten „Lifecasting“, das derzeit die Kommunikation im Web 2.0 beherrscht – und bei dem die mehr oder weniger trivialen Alltagsereignisse der NutzerInnen im Mittelpunkt stehen.
Besonders interessant ist Mindcasting, wenn sich viele WissenschaftlerInnen und ForscherInnen zeitgleich mit dem selben Thema beschäftigen. Auf wissenschaftlichen Tagungen oder Konferenzen kommt Twitter immer häufiger zum Einsatz, um eine aktuelle und potenziell weltweite Diskussion über die Konferenzthemen anzuregen. Mittels der Vergabe eines „Hashtags“ – ein Schlagwort, mit dem alle Beiträge zur Konferenz markiert werden – können sich die TeilnehmerInnen mit anderen Interessierten während und nach der Tagung austauschen. Eine große Twitter-Resonanz erreichte damit etwa der Oldenburger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Taeger bei der Tagung der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik im Herbst 2009 in Oldenburg.
Auch für die Verbreitung von Wissenschaftsnachrichten eignet sich Twitter. Einen wahren „Twitterstorm“ durch Hunderte von Einträgen innerhalb kurzer Zeit löste im September 2009 die Veröffentlichung einer Studie zur Vornamensforschung durch die Oldenburger Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Astrid Kaiser aus.

Weiterführende Links

Eine Orientierungshilfe mit Lese- und Surftipps zum Schnelleinstieg in das Thema Web 2.0 und Wissenschaft bietet diese Linksammlung:
Einführungen:
ÖAW ITA-Steckbrief „Microblogging und die Wissenschaft. Das Beispiel Twitter“
epub.oeaw.ac.at/ita/ita-projektberichte/d2-2a52-4.pdf
Videovortrag „Einführung in Web 2.0“
edufuture.de/2009/05/06/einfuehrung-in-web-20/
Web 2.0 Handbuch des EU-Projekts iCamp „How to use social software in higher education“
pl.cel.agh.edu.pl/repozytorium/oprog_spol_w_ed_wyz_en.pdf

Web 2.0 für WissenschaftlerInnen in der Praxis:
Blog Bildungsserver.de
blog.bildungsserver.de/
Twitter-Feed von Innovationsnetz Niedersachsen
twitter.com/innovationsnetz
Podcasts der Deutschlandfunk-Sendung „Campus & Karriere“
www.dradio.de/rss/podcast/sendungen/campus/

Einzelstudien:
Blogbeitrag „Twitter als Linkkiller? Die Entwicklung der Verlinkungen in der wissenschaftlichen Blogosphäre“
www.wissenswerkstatt.net/2009/05/06/
Nature Studie zu Web 2.0 und Wissenschaftsjournalismus „Science journalism: Supplanting the old media?“
www.nature.com/news/2009/090318/pdf/458274a.pdf

Präsentationen:
Warum Wissenschaftler twittern
www.slideshare.net/jrobes/warum-wissensarbeiter-twittern
HRK Experten-Anhörung „Web 2.0 an Hochschulen“ 1
www.slideshare.net/JanSchmidt/statement-hrk-hagen-2009
HRK Experten-Anhörung „Web 2.0 an Hochschulen“ 2
prezi.com/eslvucwrtvt4/

nach oben

 


(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page