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In jedem Umbruch liegt die Chance für das Neue

Interview mit den neuen Vizepräsidendten Karen Ellwanger und Reto Weiler über Forschung und Lehre in der Universität

"Wir sind und einig darin, das eine Voraussetzung ...

UNI-INFO: Frau Ellwanger, Sie sind für die Lehre zuständig. Sie, Herr Weiler für die Forschung. Sie beide wollen Ihre Bereiche trotz schwieriger Finanzsituation stärken. Geraten Sie nicht in starke Konkurrenz?

ELLWANGER: Ja und nein. Ich glaube, wir beide wollen eine gute forschungsorientierte Lehre. Dann muss es auch gute Forschung geben. Andererseits ist uns beiden klar, dass Lehre Geld kostet. Das ist überhaupt keine Frage und entsprechend muss in diversen Pools der Universität für Lehre auch Geld zur Verfügung stehen.

WEILER: Wir sind uns einig darin, dass eine Voraussetzung für gute Lehre ist, dass man gute Forschungspersönlichkeiten gewinnt. Erfahrungsgemäß machen die im Allgemeinen auch die beste Lehre. Auf diesem Feld haben wir sicherlich keine Schwierigkeiten. Aber wir werden uns natürlich sehr genau absprechen müssen, wenn es um die Verteilung der wenigen Mittel aus dem Programmhaushalt geht.

UNI-INFO: Das Humboldtsche Ideal der Einheit von Lehre und Forschung soll also nicht in Frage gestellt werden?

WEILER: Auf keinen Fall, denn das ist das Selbstverständnis einer Universität, dass man da, wo man Wissen erarbeitet, dieses Wissen auch weitergibt. Denn Wissen, das man für sich selbst behält, hat gesellschaftlich keine Relevanz.

ELLWANGER: Das ist mir zu wenig: die Weitergabe von Wissen. Das ist keine Einbahnstraße. Einverstanden: gute Forscher und Forscherinnen machen oft gute Lehre. Aber entscheidend ist hier ein Engagement, das sich in allen Arbeitsbereichen zeigt, und vor allem die Fähigkeit, Lehre als Inspiration für Forschung wahrnehmen und sich darauf einlassen zu können - selbst und gerade bei Anfängern. Ein Standortvorteil gegenüber reinen Forschungsinstitutionen ist es, dass auch Fragen außerhalb des spezialisierten Wissens gestellt werden. Darüber hinaus brauchen wir allerdings mehr Hochschuldidaktik. Da können wir fast alle was lernen - und wer schon exzellent lehrt, unterstützt Neulinge.

UNI-INFO: Was hat Sie für das Amt motiviert?

WEILER: Ich mag Umbruchsituationen wie die gegenwärtige, weil ich in jedem Umbruch die Chance für das Neue sehe, und weil ich einfach weiß, dass man dann Dinge auch wirklich verändern kann. Zudem geht es mir natürlich besonders darum, die universitäre Forschung nachhaltig zu fördern und die dafür notwendigen Qualitätskriterien zu implementieren.

ELLWANGER: Ich möchte eine Universität, die nicht vor der Scheinalternative einknickt: Massenausbildung in Großveranstaltungen im Bachelor versus Postgraduiertenausbildung in Mainstreambereichen. Ich möchte eine lebendige Universität, die auf intelligente Weise Lehre und Forschung, Theorie und Praxis, Kunst und Wissenschaft verbindet.

UNI-INFO: Frau Ellwanger, Sie wollen Veränderungen in der Lehre. Zum Beispiel wollen Sie verstärkt Master-Studenten und Doktoranden in der Lehre einsetzen. Muss die Lehre runderneuert werden?

ELLWANGER: Das wohl nicht, aber auffrischende Elemente sind bitter nötig. Vermittlungskompetenz wird immer wichtiger. Es wäre sträflich, hier nicht die älteren Studierenden und Doktoranden zu fordern und anzuleiten. Aber machen wir uns nichts vor: Eine Entlastung für die Lehrenden wäre das nur sehr bedingt, denn solche Tutorenprogramme funktionieren nur, wenn sie betreut werden. Dazu kommt die Idee, Lektorenstellen zu schaffen, die sich hauptsächlich über Lehre definieren - aber einer Lehre, die hoch anerkannt wird. Bislang scheint doch der universitäre Status umgekehrt proportional zur Höhe des Lehrdeputats zu sein. Wir müssen die Lehre aufwerten.

' UNI-INFO: Wie könnte ein typischer Karriereweg eines Lektors, einer Lektorin dann aussehen? Wollen Sie die Zahl der Professuren runterfahren?

ELLWANGER: Ja, Professuren sollten wir weniger haben. Und sie sollten nach einer großzügig ausgelegten Forschungssystematik eingerichtet werden - natürlich auch immer unter Berücksichtigung der innovationsträchtigen Ränder der Disziplin und in Anbindung an Studiengänge. Also: keine Professuren jenseits von Lehrverpflichtung, aber auch keine nach purem Ausbuchstabieren von Prüfungsordnungen. Neben den gängigen Nachwuchsstellen, von denen wir noch viel zu wenige haben, brauchen wir auch Stellen für den Nachwuchs, der auf eine Lehr-Karriere hinarbeitet. Bewähren sich solche Wissenschaftler, müssen sie Aufstiegschancen haben, also Lektor oder Lektorin werden können. Sie sollten dann z. B. wie Professorinnen und Professoren ein „Lehr-Forschungs“-Semester beantragen können, um Luft zu holen, sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren und Lehrmaterialien auszuwerten bzw. zu publizieren.

UNI-INFO: Wollen Sie sich mit verbesserten Strukturen in der Lehre auch stärker von den Fachhochschulen absetzen, die ja auch das Bachelor-Studium haben?

ELLWANGER: Das Merkmal der Universität ist der Grad der forschungsbasierten Lehre. Fachhochschulen und auch Akademien werden sehr viel enger an Berufsfeldern ausbilden. Die Ausbildung der Studierenden der Universität soll bereits im Bachelor-Studium Reflexionsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Eigenständigkeit, unumgängliches grundlegendes Fachwissen, vor allem aber Methoden- und Transferkompetenzen auf der Basis der Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten umfassen. Dieses Profil muss klar herausgearbeitet werden, denn der dreijährige BA der Universitäten konkurriert mit dem vierjährigen BA der Fachhochschulen.

UNI-INFO: Dem werden Sie wohl zustimmen, Herr Weiler?

WEILER: Ja. Einem Personalchef muss klar sein, wo der Unterschied zwischen Absolventen der Fachhochschulen und der Universitäten liegt. Wenn er jemanden sucht, der ein Problem lösen soll, dann holt er sich jemanden von der Fachhochschule. Wenn er jemanden braucht, der das Problem definieren soll, dann sollte er jemanden von der Universität nehmen. Gegenwärtig, das muss man allerdings zugeben, sind die Grenzen noch eher verschwommen. Aber wir müssen uns klar werden, dass eine theoriegeleitete Ausbildung an der Universität wichtig, nein, entscheidend ist. Und dafür brauchen wir als Basis die Forschung und entsprechende Forschungskerne.

UNI-INFO: Was ist der Unterschied von Leuchtturm und Forschungskern?

WEILER: Soll ich jetzt sagen, das eine ist niedriger und breiter und das andere höher und schlanker? Spaß beiseite. Ein Kern ist integraler Bestandteil des gesamten Gebildes, während eben ein Leuchtturm etwas Abgehobenes ist, was also nicht diese Verankerung in der Breite hat. Und ich sehe Forschungskerne schon als etwas, was eine sehr viel tiefere Verwurzelung und damit aber auch Einflussnahme über eine Verankerung innerhalb einer Universität hat als eben Leuchttürme. Das ist für mich persönlich die entscheidende Differenzierung zwischen den beiden.

UNI-INFO: Wenn die Universität in ihrem Spektrum etwa so gehalten werden sollte wie sie jetzt dasteht, und gleichzeitig die Qualität auf den Level kommen soll wie Sie es wünschen, dann geht das nur mit mehr Geld. Das soll durch Studiengebühren kommen, auch wenn viele dagegen sind.

ELLWANGER: Ich hätte zu Studiengebühren erst mal ein alternatives Modell. Ich halte es nicht für ganz selbstverständlich, dass sie anstehen. Präsident Schneidewind hat ja sehr emphatisch einen Reformaufbruch dieser Universität angekündigt, der auf engagierte Studierende zielt, die sich mit ihrer Universität identifizieren. Hier knüpft meine Alternative an: Studiengebühren sollen in der Universität abgearbeitet werden können - sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch im Dienstleistungsbereich. Das ist auch eine gute Qualifizierungsmöglichkeit, besser als in einer Kneipe zu jobben.

WEILER: Ich denke, dass die Universität die zusätzliche Finanzquelle Studiengebühren ganz dringend brauchen wird, die man allerdings in ein Gesamtkonzept der Finanzierung einbauen muss. Wir stehen vor einer Kostenexplosion mit Blick auf den Betreuungsaufwand der konsekutiven Studiengänge und der Auswahl der Studierenden. Für die Forschung selbst wird gar nicht viel übrig bleiben. Da müssen wir andere Möglichkeiten finden. In der Berufungspolitik müssen wir verstärkt nach Forscherinnen und Forschern Ausschau halten, die Drittmittel einwerben können. Dafür muss ihnen aber eine drittmittelfähige Grundausstattung zur Verfügung stehen. Insofern werden wir überlegen müssen, ob wir uns die ganze Breite der Fächer bzw. Forschungsgebiete, die wir haben, noch leisten können. Der laufende Generationswechsel bietet auch eine einmalige Chance, diese schwierige Frage offen anzugehen.

ELLWANGER: Fächer, die nur durch den Bachelor vertreten sind, sollten wir nicht einrichten. Zumindest sollten sie im Master eine Beteiligung haben, dazu die Promotionsmöglichkeit. Sonst wird die Verbindung von Forschung und Lehre schwierig.

WEILER: Die neuen Studienstrukturen bieten die Möglichkeiten, sehr viel mehr auf das Profil hin auszubilden, das wir hier haben. Die starren Strukturen des jetzigen Systems werden sich immer mehr auflösen. Das heißt, wir müssen nicht mehr so viele allgemein verbindliche Vorschriften berücksichtigen und können sehr viel gezielter Personen berufen, die in einem Forschungsumfeld gut zusammen passen und haben dann auch die Möglichkeit, in der Lehre dieses Feld attraktiv anzubieten.

UNI-INFO: Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die vom Präsidenten in Gang gesetzte Leitbild- und Strategiedebatte?

ELLWANGER: Ich hoffe zunächst mal auf gute Effekte dieses Weges, Debatten anzustoßen. Dieser Prozess alleine wird viele Mitglieder dieser Universität einbinden und möglich machen, sich im gegenwärtigen Umbruch neu auf die Universität zu beziehen. Insofern hat die Leitbilddebatte für mich fast einen therapeutischen Effekt. Inhaltlich vermisse ich in dem jetzt vorliegenden Strategiepapier noch gute qualitative Aussagen zur Lehre. Es ist ein wenig forschungslastig. Es ist zu ausschließlich auf große Kategorien wie SFBs orientiert - dezentrale kleine Schritte sind nicht einfach ein Runterbrechen dieser hehren Ziele, sondern alternative Verbesserungen.

WEILER: Das Prozesshafte ist tatsächlich etwas sehr Wichtiges, aber auch die Zielsetzung selbst. Man kann ein so hochkomplexes Unternehmen wie eine Universität tatsächlich nur bewegen, wenn man so eine Karte hat und weiß, wohin man in rauer See steuern will. Die Karte führt womöglich - wie das in der Seefahrt öfter geschehen ist - dann gar nicht nach Indien, sondern unerwartet nach Amerika. Aber es ist notwendig, so eine Roadmap zu haben.

UNI-INFO: Für die gesamte Universität oder nur für die Wissenschaft?

WEILER: Unbedingt für die gesamte Universität.

UNI-INFO: Haben Sie bestimmte Erwartungen an den Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich?

ELLWANGER: Ich sehe bei uns gute Ansätze. Es wird doch heute schon direkter und etwas unkomplizierter gehandelt. Aber es ist noch ein Weg dahin, bis die Belange von Forschung und Lehre als zentrale Aufgaben der Universität im richtigen Licht gesehen werden, und die Wissenschaftler in den Fakultäten unterstützt werden, statt noch mehr Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Ich hoffe, dass durch den Strategieprozess die Bereiche und Statusgruppen einschließlich der Verwaltung auch inhaltlich wieder ins Gespräch kommen.

WEILER: Es muss diese Kommunikation geben. Und das ist ja auch vorgesehen, damit die Verwaltung in der Lage ist, sehr dynamische Prozesse in der Wissenschaft mit einer gleichen Dynamik zu begleiten. Sie muss sich dabei ihrer unterstützenden Funktion immer bewusst sein. Dieses Bewusstsein wird im Rahmen des Strategieprozesses noch wachsen.

UNI-INFO: Gibt es für Sie ein Leben neben der Universität?

WEILER: Ja, natürlich. Die Familie ist so ein ganz zentraler Ort, wo ich Kraft finde. Und ich bin ein besonderer Freund von Oper und Theater. Musik und Theater spielen eine wesentliche Rolle in meinem Leben. Und wenn alles nicht mehr hilft, dann gehe ich auf ein Segelboot oder in die Berge.

ELLWANGER: Ich habe eine Grundneugierde, die wohl von der Volkskunde kommt. Ich kann nicht unbedingt so eine große Trennung machen zwischen hier Universität und dort Entspannung, Kraft tanken. Kultur, Kunst, Musik, sogar Filme gucken sind ja auch nicht ganz fern von meiner Arbeit. Wunderbar sind Familie, Freundinnen und Freunde - aber nicht automatisch entspannend. Ich muss nur in meinem Alter inzwischen aufpassen, ob ich mit diesem homöopathischen Prinzip Gleiches mit Gleichem weiter komme, d. h. hier viel Stress und im Privatleben dann auch noch viel Komplexität. Ob sich das auf die Dauer so aufrecht erhalten lässt?

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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