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FRÜHJAHR 2012
700 Gigatonnen
gelöste organische Materie
„Überall in der Natur im Bereich der Erdrinde findet sich ein im
ultravioletten Licht hellblau fluoreszierender Stoff.Nachgewie-
sen wurde er bisher in der Atmosphäre, in allen in der Natur
vorhandenen Wasservorkommen: im Nebel, Schnee, Regen,
Rauhreif, Gletschereis, in Wellen, Bächen, Flüssen, Seen und im
Oberflächen- undTiefenwasser derWeltmeere.“ Sobeginnt eine
Abhandlung des deutschen Meereschemikers Kurt Kalle über
dasVerhaltenunddieHerkunft der „himmelblauenFluoreszenz“
in Gewässern und Atmosphäre aus dem Jahr 1963. Bereits
1909 hatte der Chemiker Dienert diesen Effekt für natürliche
Gewässer beschrieben. Kalleuntersuchte in seinenArbeiten seit
Ende der 1930er Jahre die Verteilung des Fluoreszenz-Stoffes
im Küstenmeer. Daneben galt sein Interesse einem zweiten
Stoff, der dem Wasser seine humusartige, gelbe Farbe gibt:
Kalle nannte ihn Gelbstoff. In der wissenschaftlichen Literatur
ist heute neben diesem Begriff und der direkten Übersetzung
als„yellowsubstance“ vor allemdie BezeichnungCDOMüblich,
dieAbkürzung für„ColoredDissolvedOrganicMatter“ (gefärbte
gelöste organische Materie). Gelbstoff ist der farbige, genauer
gesagt: der im Blauen absorbierende Anteil des Pools gelöster
organischer Materie (DOM). Mit etwa 700 Gigatonnen in den
Ozeanen ist DOM mit der Ve-
getationsmasse an Land ver-
gleichbar.  Im Küstenbereich
wirdCDOM inerster Linieüber
Flüsse und unterseeische Quellen in die Meere eingetragen. In
offenen Ozeanen entstehen die Gelbstoffe vor allem als Ab-
bauprodukte von Algenblüten. Über den CDOM-Gehalt lässt
sich derWegdesWassers über Hunderte von Kilometern durch
die Meere verfolgen, beispielsweise von der Deutschen Bucht
bis in den Skagerrak. Trotzdem ist diese organische Materie
nochweitgehend unerforscht. WissenschaftlerInnen der Max-
Planck Forschungsgruppe Marine Geochemie der Universität
sind dabei, mit aufwendigen Labormethoden ihre chemische
Zusammensetzung zu entschlüsseln.
Seinen Ursprung hat die gefärbte gelöste organische Mate-
rie CDOM in den Stoffwechsel- und Abbauprodukten von
Pflanzen und Tieren. CDOM ist – abgesehen von den Absorp-
tionseigenschaften reinenWassers – der wichtigste Faktor für
die Verteilung von Licht im Meer. Es absorbiert ultraviolette
Strahlung und schützt so marine Organismen vor negativen
Effekten. Seine Absorptionsbanden im blau-grünen Spek-
tralbereich überlagern sich mit denen des Phytoplanktons,
wodurch die Physiologie und Primärproduktion der Algen
beeinflusst wird. Darüber hinaus bindet CDOMSpurenmetalle,
dient als Nahrung für Mikroorganismen und steht in direktem
Zusammenhangmit demgesamten Pool organischer Materie.
Das Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) un-
tersucht die Prozesse, die zu Aufbau, Abbau und Verteilung
gelöster organischer Materie führen, auf breiter interdiszipli-
närer Basis. Dabei setzen die WissenschaftlerInnen auf mo-
dernste Labormethoden sowie auf Messtechniken, die hoch
auflösend und über lange Zeiträume hinweg in situ – und das
heißt hier: im Wasser – eingesetzt werden können. Gelbstoff
als optisch aktiver Anteil von organischer Materie ist für dieses
Verfahren besonders geeignet,da die Absorption blauen und
ultravioletten Lichts in sensitive und zuverlässigeMesstechnik
überführbar ist. Die Arbeitsgruppe Marine Sensorsysteme
am ICBM entwickelt seit Mai 2011 neue Sensorprinzipien
und arbeitet an der Optimierung existierender Ansätze. Seit
November 2011 fördert das Bundesministerium fürWirtschaft
und Technologie (BMWi) das Projekt „Entwicklung einer
Online-Methode zur Bestimmung und Charakterisierung von
in Wasser gelösten organischen Substanzen (DOM - gemes-
Unsichtbares sichtbar gemacht: Sensortests im Labor.
Making the invisible visible: Testing sensor performance in the laboratory.