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UNI-INFO
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„NachDenkstatt“
A
nfang 2012 gründeten Stu-
dierende der Universität die
„NachDenkstatt“: Ihr Ziel ist es,
Nachhaltigkeitsthemen von der
Wissenschaft in die Praxis zu
überführen. „Nachhaltige Pro-
zesse erfordern oftmals Verände-
rungen und Weiterentwicklungen,
gerade auf regionaler und lokaler
Ebene. Wie genau jedoch Verän-
derungen vor Ort aussehen kön-
nen, welche Herausforderungen
und Problemlagen sich dabei
ergeben und welche Ressourcen
dazu benötigt werden oder schon
vorhanden sind, ist häufig unklar.
An dieser Stelle setzen wir mit der
,NachDenkstatt’ an. Wir möchten
im intensiven und kreativen Aus-
tausch mit den unterschiedlich-
sten Akteuren Lösungswege für
nachhaltige Themen erarbeiten“,
so Katharina Sander, Sprecherin
der NachDenkstatt.
Ein Schritt auf diesem Weg ist
eine Konferenz, die bereits zum
zweiten Mal an der Universität
stattfindet. Die OrganisatorInnen,
überwiegend Studierende aus dem
Masterstudiengang Sustainabili-
ty Economics and Management,
haben WissenschaftlerInnen
sowie ExpertInnen aus Politik,
Verwaltung, Wirtschaft und Zi-
vilgesellschaft eingeladen. Sie
beschäftigen sich in transdiszi-
plinären Gruppen mit Themen
wie „Energiewende in der Region
Weser-Ems“, „Ernährung: Regio-
nale Wege gehen – Schritte in eine
nachhaltige Zukunft?“, „Kunst im
Konsum – Intervenieren für Nach-
haltige Entwicklung?“ und „Green
Clothing – Von KonsumentIn zu
ProsumentIn“. Den Eröffnungs-
vortrag halten Prof. Dr. em. Ro-
land W. Scholz, Hochschullehrer
für Umweltwissenschaften, und
Stefan Frischknecht, Gemein-
depräsident Urnäsch (Schweiz).
Beide haben in nachhaltigen Pro-
jekten für die Gemeinde Urnäsch
gearbeitet. Interessierte können
sich noch bis zum 11. November
anmelden.
Wann: 29.11. bis 1.12.;
Eröffnung: 29.11. , 19.00 Uhr
Wo: Hörsaalzentrum
ten sich in dieser Zeit doch viele „Bar-
fußhistoriker“ auf, die Geschichte ihres
Ortes oder Stadtteils zu untersuchen.
Zum anderen wäre zu fragen, inwie-
fern der tiefgreifende gesellschaftliche
Strukturwandel in dieser Zeit das Be-
dürfnis nach Identitätsstiftung unter an-
derem in ländlichen Regionen erhöhte.
Möglicherweise waren Ortschroniken
der Versuch, durch historische Bezüge
ein wenig Ordnung in die turbulente
Gegenwart zu bringen.
UNI-INFO: Nehmen Sie dabei die Ent-
stehungsgeschichte der Ortschroniken
selbst auch in den Blick?
THIESSEN: Ja, wir möchten genauer
hinsehen, ob der Boom in den 1970er
Jahren nicht noch ganz andere Ursachen
hat. Wir spüren daher auch möglichen
Vorläufern von Ortschroniken in der
Heimatbewegung nach.
UNI-INFO: Das Feld der Ortschro-
niken ist unübersehbar vielfältig. Nach
welchen Kriterien grenzen Sie ein?
THIESSEN: Wir
a na lysieren zu-
nächst systematisch
Ortschroniken in
Niedersachsen. Auf
dieser Basis nehmen
wir dann gezielt wei-
tere deutsche Regi-
onen in den Blick.
Anschließend werden wir mehrere aus-
gewählte Fallstudien vertiefend untersu-
chen, hier geht es uns vor allem um die
Entstehung der Chroniken vor Ort und im
Alltag, also um die soziale Praxis.
UNI-INFO: Spielten Ortschroniken
in der Geschichtsforschung über den
Nationalsozialismus bislang eine Rolle?
VON REEKEN: Bestenfalls am Ran-
de einzelner Studien. Wir stoßen also
in eine Forschungslücke – und ver-
stehen unser Projekt auch als eine
Pionierstudie und als ein Plädoyer,
der NS-Auseinandersetzung „vor Ort“
größere Aufmerksamkeit zu schen-
ken. Bisherige Untersuchungen, sagen
wir beispielsweise die Analyse von
Ansprachen von Bundespräsidenten,
können wenig darüber aussagen, was
von der NS-Auseinandersetzung „un-
ten“ überhaupt ankommt – und wie im
Kleinen die NS-Geschichte gedeutet
wird.
UNI-INFO: Herr Thießen, warum neh-
men Sie sich ausgerechnet der Ortschro-
niken an?
THIESSEN: Wir möchten einen neuen
Fokus auf die Auseinandersetzung mit
dem Nationalsozialismus legen, indem
wir zum Beispiel auf die Auseinan-
dersetzung „vor Ort“ blicken. Denn
bislang hat die Forschung vor allem
auf nationaler und regionaler Ebene
nach der „Vergangenheitsbewältigung“
beziehungsweise Geschichtskultur des
Nationalsozialismus gefragt.
UNI-INFO: Was wird demgegenüber
in den Ortschroniken sichtbar?
VON REEKEN: Zum Beispiel, welche
Geschichtsbilder und -vorstellungen in
kleinen Gemeinden und Gemeinschaf-
ten kursieren und wie die Auseinander-
setzung mit dem Nationalsozialismus
zur Identitätsstiftung kleiner Orte bei-
trägt – oder diese gefährdet. Außerdem
lernen wir etwas über den Umgang
mit Geschichte in ländlich geprägten
Räumen, die bislang in der Forschung
kaum eine Rolle gespielt haben. Hin-
zu kommt, dass wir Ortschroniken
in einer vergleichenden Perspektive
untersuchen wollen – aus dem ganzen
Bundesgebiet und der DDR, um Un-
terschiede und Gemeinsamkeiten der
Auseinandersetzung mit dem National-
sozialismus aufzuzeigen.
UNI-INFO: Kann denn beispielswei-
se die Chronik eines kleinen Dorfes
Aufschluss über die Geschichte des
Nationalsozialismus bringen?
THIESSEN: Gerade der scheinbar ba-
nale Bericht eines Dorfes sagt sehr viel
aus über die Macht der Geschichte für
unsere Gegenwart. Denn hier lässt sich
wie unter einem Brennglas die soziale
Funktion des Geschichte-Schreibens
betrachten: Wer oder was kommt in
dem Bericht zu Wort, welche Personen
und Ereignisse werden in den Mittel-
punkt gestellt, welche verschwiegen?
Welche „Lehren“ und Botschaften
möchten die Autoren an die Leser der
Chronik vermitteln, zum Beispiel um
die gegenwärtige Bedeutung des Dorfes
oder die aktuelle Bedeutung gemein-
samer Werte zu unterstreichen?
UNI-INFO: In den 1970er Jahren hat
das Genre der Ortschroniken einen
regelrechten Boom erfahren. Womit
erklären Sie sich das?
VON REEKEN:
Dieser Boom hat
verschiedene Wur-
zeln, wir werden
sie im Projekt ge-
nauer erkunden. Da
wäre zum einen der
Boom der „Alltags-
geschichte“, mach-
Die Geschichte im Dorf lassen
Forscher untersuchen Ortschroniken – und schauen dabei auf die Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus. Ein Interview mit den Projektleitern Dietmar von Reeken und Malte Thießen.
„Die Geschichte im Dorf lassen –
Nationalsozialismus in deutschen
Ortschroniken“ ist ein auf zwei
Jahre angelegtes Forschungspro-
jekt der Arbeitsstelle Regionale
Geschichtskulturen. Kooperati-
onspartner sind unter anderem
die Universitäten Göttingen und
Hannover, die Forschungsstelle
für Zeitgeschichte in Hamburg,
das Institut für Zeit- und Regio-
nalgeschichte Schleswig sowie
die Stiftung Niedersächsischer
Gedenkstätten. Förderer ist das
Forschungsprogramm PRO*
Niedersachsen des Niedersäch-
sischen Wissenschaftsministe-
riums.
Historiografie vor Ort: „Welche Geschichtsbilder kursieren in kleinen Gemeinden und Gemeinschaften?“
Foto: Dominik Schwarz/photocase.com
W
as können gemeinschaftsorien-
tierte Formen des Wirtschaftens
zu nachhaltiger Entwicklung beitragen?“
Unter dieser Frage stehen die 5. Spie-
kerooger Klimagespräche. Namhafte
Wirtschafts-, Sozial-, Geistes- und Kul-
turwissenschaftlerInnen sind eingeladen,
die Frage mit VertreterInnen alternativer
Wirtschaftsformen zu diskutieren.
„Die Kehre zu nachhaltiger Entwicklung
kann nur gelingen, wenn den Tendenzen
zu immer stärkerer Individualisierung
und individualisierter Konkurrenz Ein-
halt geboten wird“, erklärt Prof. Dr.
Reinhard Pfriem, Initiator der Klimage-
spräche. Daher stünden gemeinschafts-
orientierte Formen des wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Lebens im
Fokus. Es gehe um die Bedingungen
und die Messbarkeit des Geschäfts-
erfolgs solcher Unternehmungen, um
Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit
von Hierarchie und Kooperation sowie
um die Geschichte gemeinschaftsorien-
tierte Konzepte und Projekte.
Die wissenschaftliche Leitung der Ge-
spräche liegt bei Pfriem sowie bei Prof.
Dr. Wolfgang Sachs (Wuppertal-Institut
für Klima, Umwelt und Energie) und
Prof. Dr. Marco Lehmann-Waffen-
schmidt (TUDresden). DieVeranstaltung
wird unter anderem von der Metropolre-
gion Nordwest, paneuropa Rösch und
Dr. h. c. Peter Waskönig unterstützt.
-
klimagespraeche.de
Wann: 7. bis 9. November
M
echanische Schäden rechtzeitig zu
erkennen, ist entscheidend, wenn
Windenergieanlagen dauerhaft und
zuverlässig laufen sollen. Doch wie ist
es überhaupt möglich, kleinste Ände-
rungen der mechanischen Eigenschaf-
ten zu diagnostizieren? Wissenschaftler
der Universität um den Physiker Prof.
Dr. Joachim Peinke haben dazu jetzt in
„Europhysics News“ eine neue Metho-
de vorgestellt.
Der Zustand von Windenergieanlagen
muss ständig überwacht werden. Man
verwendet dafür Frequenzanalysen:
Diese halten fest, wie häufig bestimmte
Schwingungen in einer gewissen Zeit-
einheit auftreten. Doch das Verfahren
hat Tücken: Die kleinste turbulente
Anregung der Struktur durch wech-
selnden Wind, Wirbel und Luftströme
erschwert die Analyse. Frequenzanaly-
sen können also nur große Änderungen
der mechanischen Eigenschaften zuver-
lässig erkennen.
Exakter ist die von den Oldenbur-
ger Forschern entwickelte Methode:
Sie wertet die turbulente Anregung
durch Wind mit Methoden der sto-
chastischen Datenanalyse aus. Damit
lassen sich Änderungen in der mecha-
nischen Struktur präziser analysieren.
In einem Experiment haben die For-
scher Balkenstrukturen turbulenten
Windverhältnissen ausgesetzt. Indem
sie die Schwingungen der Struktur un-
tersuchten, konnten sie die Änderungen
der mechanischen Eigenschaften präzi-
se nachweisen. Im Vergleich zu traditio-
nellen Frequenzanalysen erwies sich die
stochastische Methode – vor allem bei
kleinen Änderungen und noch unsicht-
baren Rissen – als wesentlich sensibler.
Künftig wollen die Forscher die neue
Methode zur Schadenserkennung auf
komplexere mechanische Strukturen
anwenden. Sie wollen sie damit für
den Einsatz in Windenergieanlagen,
Flugzeugen oder Autos vorbereiten. Der
Artikel des Oldenburger Teams wurde
vom Wissenschaftsmagazin der Euro-
pean Physical Society als Forschungs-
Highlight ausgewählt. (tk)
„Stochasticmethodfor in-situdamageanaly-
sis“,PhilipRinn,HendrikHeißelmann, Matthi-
as Wächter und Joachim Peinke, European
Physical Journal B 86: 3 (2013)
Unsichtbare Risse
Windenergieanlagen: Kleinste Schäden erkennen
Digitale Musiker
A
n der Universität Rijeka in Kroatien
gibt es jetzt einen Raum für die Mu-
sikproduktion – der nach Oldenburger
Vorbild geschaffen wurde. Pate stand
das Institut für Musik der Universität
Oldenburg. Die Studierenden können an
beiden Standorten unter identischen Be-
dingungen arbeiten und lernen. Eine neue
Software ermöglicht synchronisierte
Audioaufnahmen und Recordingsessions
im Netz. Im Oktober fand in Rijeka be-
reits ein Seminar zur Einführung in die
Musikproduktion statt. Damit sind die
Bedingungen für gemeinsame multime-
diale und musikalische Projekte geschaf-
fen. „Denkbar sind die Koproduktion
von Musik in Echtzeit über das Internet
oder auch englischsprachige Sommer-
kurse für kroatische und Oldenburger
Studenten in Rijeka und Oldenburg“,
erläutert Christoph Micklisch, Leiter der
Medienmusikpraxis in Oldenburg, der
die Kooperation gemeinsam mit seiner
kroatischen Kollegin Dr. Diana Grguric
ins Leben gerufen hat.
Im nächsten Jahr sollen kroatische Schü-
ler live über das Netz zu Oldenburger
Arrangements ihre Stimmen einsingen.
Dabei sehen sich beide Seiten via Web-
cam und können den Produktionsablauf
koordinieren.
Alter und Bildung
E
ine „Oldenburger Erklärung zur För-
derung der wissenschaftlichen Wei-
terbildung Älterer“ ist im Nachklang
zur Jahrestagung der „Bundesarbeits-
gemeinschaft wissenschaftliche Wei-
terbildung für Ältere“ entstanden. Diese
fand – organisiert von Dr. Christiane
Brokmann-Nooren (C3L) – im März
an der Universität statt. Die AutorIn-
nen fordern unter anderem den Ausbau
von Bildungsangeboten für Ältere so-
wie Konzepte des intergenerationellen
Lernens.
forderung-weiterbildung-aelterer
Kehre zur Nachhaltigkeit
Fünfte Runde der Spiekerooger Klimagespräche
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