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FRÜHJAHR 2013
Regenwald und Tropenwaldzerstörung: Das sind Themen,
die die Medien über Jahre ins Bewusstsein der deutschen
Öffentlichkeit gerückt haben. Die wiederholte Beschreibung
dessen, was wir mit den jährlich abgeholzten zehn Millionen
Hektar Tropenwald an biologischen Schätzen verlieren, hat
dazu geführt, dass inzwischen jeder Laie über die Artenfülle
dieser Ökosysteme weiß. Es ist eine Artenfülle, die fasziniert:
So kann man in einem Hektar amazonischen Tieflandwaldes
mehr Baumarten finden als in ganz Europa, und ein einziger
Urwaldriese beherbergt mehr Ameisenarten als ganz Groß-
britannien.
Neben der ungeheuren Artenfülle gibt es in den Tropen eine
ganze Reihe pflanzlicher Wuchsformen, die in unseren Breiten
selten sind oder sogar ganz fehlen. Dazu zählen baumför-
mige Farne, baumwürgende Feigen, kletternde Lianen oder
sogenannte Epi-
phyten, wörtlich
übersetzt Aufsit-
zerpflanzen. Gerade diese letzte Pflanzengruppe ist überaus
artenreich: Zu den Epiphyten zählen weltweit fast zehn
Prozent aller Blütenpflanzenarten, darunter mehr als zehn-
tausend Orchideen, tausende von Farnen, aber auch mehr
als eintausend Ananasgewächse.
Der gegenwärtige Artenrekord dokumentiert diese lokale
Vielfalt eindrucksvoll: Auf einem einzigen Baum in einem
Bergregenwald in Costa Rica wurden mehr als 100 solcher
Epiphytenarten erfasst. Besonders die Gruppe der Gefäß-
epiphyten untersuchen wir in meiner Arbeitsgruppe „Funk-
tionelle Ökologie der Pflanzen“. Regelmäßig reisen wir für
Freilandforschungen in die Tropen, vor allemnach Panama, wo
die Forschungsstationen des Smithsonian Tropical Research
Institutes ideale Bedingungen für Wissenschaftler bieten.
Unsere Untersuchungen decken ein sehr breites Spektrum
ab: von der vergleichenden physiologischen Analyse über
die Dokumentation der Dynamik ganzer Epiphytengemein-
schaften bis hin zur jahrzehntelangen Beobachtung mithilfe
eines im Regenwald aufgestellten Baukrans. Die Möglichkeit,
Pflanzen vor Ort auch zu sammeln und zu exportieren, erlaubt
detaillierte physiologische Experimente in den Oldenburger
Klimakammern. Es sind Experimente, die zum Beispiel Ant-
worten auf die Frage liefern können, wie gut Epiphyten mit
den vorausgesagten Umweltbedingungen des Jahres 2100
zurecht kommen werden – bei dann wesentlich höheren
Temperaturen und CO
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-Gehalten.
Obwohl man als Mitteleuropäer bei tropischen Wäldern eher
an permanente schwüle Feuchte denkt, sind die in den Baum-
kronenwachsenden Epiphyten paradoxerweise eher von Tro-
ckenstress bedroht. Da sie ja ohne „Boden“ in den Baumkronen
direkt auf der Borke oder inMoospolstern wachsen, bedeutet
schon weniger als ein Tag ohne Regen bei Temperaturen um
die 30 Grad Celsius enorme Wasserknappheit.
Um dieser Trockenheit zu begegnen, haben die Pflanzen
eine Vielzahl von Anpassungen entwickelt. Neben dicken,
fleischigen Blättern unter anderem die Ausbildung einer
Zisterne, die oft auch Tank genannt wird. Die Tankbromelien
bilden durch überlappende Blattbasen gewissermaßen ihren
eigenen „Blumentopf”, in dem Wasser und Erde gesammelt
werden, womit sie leicht einige Tage ohne Regen überdauern
können. Im Extremfall kann ein einziger Tank bis zu 20 Liter
Wasser speichern.
Diese Tanks stellen regelrechte Feuchtbiotope der Baumkro-
nen dar und dienen ihrerseits wieder vielen Tieren als Lebens-
raum. Amspektakulärsten sind sicher die Baumsteigerfrösche,
die ihre Kaulquappen in diesen kleinen „Tümpeln“ ablegen.
Dochman findet auch viele andere Tiere, dieman nicht unbe-
dingt in einer Baumkrone vermutenwürde, von Libellenlarven,
Asseln, über Krebstiere bis hin zu Regenwürmern.
Die beschriebenen Tanks kommen jedoch – mit wenigen
Ausnahmen – nur bei Bromelien vor; sie sind also keines-
wegs typisch für die vielen anderen Epiphyten. Manche der
Epiphyten, die keinen Tank besitzen, haben interne Wasser-
speicher. Viele Orchideen besitzen zum Beispiel sogenannte
Pseudobulben, also verdickte Stängel, die wie die externen
Speicher vieler Bromelien die unzuverlässige Versorgung mit
Wasser ausgleichen können.
Mindestens so wichtig wie die effiziente Aufnahme und
Speicherung ist aber auch die sparsame Verwendung der
RessourceWasser. ImExtremfall werfenmanche Arten einfach
die Blätter vorübergehend ab, ähnlich vieler Pflanzenarten, die
wir aus Gebieten mit lang andauernder Trockenheit kennen,
etwa den Ländern um das Mittelmeer. Was vor allem dann
sinnvoll ist, wenn Wälder eine regelmäßige regenarme Jah-
reszeit haben, wie in vielen Ländern Zentralamerikas.
Schließlich nützt ein Großteil der Epiphyten einen besonde-
ren Photosyntheseweg, den Crassulaceensäurestoffwechsel
(CAM). Dieser wassersparende Photosyntheseweg wurde
ursprünglich für sukkulente Pflanzen der Halbwüsten be-
schrieben, für Säulenkakteen, Opuntien, Agaven oder Alo-
en – wes-
halb die ersten Berichte
über das
Vorkommen von CAM
be i t ro -
pischen Epiphyten in
den sech-
ziger Jahren des 20.
J a h r h u n -
derts noch als
Ausnahmebe-
obach-
tungen abge-
t an wu rden .
Inzwischen ist
CAMaber sohäu-
fig bei Epiphyten
nachgewiesen wor-
den, dass es scheint,
Feuchtbiotope in den Baumkronen
Legt seine Kaulquap-
pen in Tankbromelien
ab: Baumsteigerfrosch.
The poison dart frog deposits
its tadpoles in tank bromeliads.
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