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FRÜHJAHR 2013
Erinnerung, verändere dich!
Jede Epoche hat ihre Art, Jubiläen zu inszenieren und zu nutzen. So ist es auch mit der Reformation: Die Luther-
Jubiläen haben die Ideen des Theologen oft instrumentalisiert, für Zwecke ihrer Zeit. 2017 jährt sich der „Thesen-
anschlag“ zum 500. Mal: Ist es möglich, an die Reformation „anders“ zu erinnern – und neue Akzente zu setzen?
Andrea Strübind
Jubiläen sind wichtige Zäsuren in der Biographie eines Men-
schen, einer Nation und auch der Kirchengeschichte. Ihre
identitätsstiftende Wirkung ist keine Neuentdeckung der
Gegenwart, vielmehr hat jede Epoche ihre Art, Jubiläen zu in-
szenieren und zu nutzen. 2017 jährt sich der „Thesenanschlag“
Martin Luthers, der traditionell als Beginn der Reformation
gedeutet wird, zum500. Mal. Obwohl schon lange umstritten
ist, ob Luther seine Thesen zum rechten Verständnis des Buß-
sakraments tatsächlich an der Tür zur Wittenberger Schlosskir-
che angebracht hat, haben sich die „Hammerschläge“ vom31.
Oktober 1517 fest in das kulturelle Gedächtnis eingeschrieben:
Ein einzelner Kämpfer, ein Heros des Glaubens bringt mit
seinen Hammerschlägen die gesamte mittelalterliche Kirche
ins Wanken. Schlag auf Schlag ein neues Zeitalter, ein neues
Denken, ein neuer Mensch, eine neue Kirche – so die triviale,
aber langlebige Deutung.
Die Reformation führte dagegen in einem langen Prozess
zur Herausbildung einer Vielzahl selbständiger und sich von
der römischen Kirche abgrenzender Konfessionen. Der the-
ologisch motivierte Umbruch hatte Folgen für alle Bereiche
des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens der Frühen
Neuzeit und machte die religiös-kulturelle Differenzierung
und Pluralisierung zu einer Signatur Europas. Unter konfes-
sionskultureller Perspektive war das Selbstverständnis des
pluralen Protestantismus stets auch durch die Reflexion der
eigenen Geschichte geprägt. Die Rezeption der reformato-
rischen Ursprungsgeschichte entwickelte sich zu einem Me-
dium theologischer, gesellschaftlicher und kirchenpolitischer
Auseinandersetzungen. Reformationsjubiläen boten Anlässe
zur Selbstdarstellung und Polemik, siewaren aber immer auch
Versuche, die reformatorische Glaubenslehre zu aktualisieren
und auf die Gegenwart zu beziehen.
Seit 1617, der ersten „Centenarfeier“, die zugleich die Ge-
burtsstunde des Reformationstags war, gehören öffentliche
Reformationsjubiläen zum festen Inventar protestantischer
Konfessionskulturen. Festkultur, Schriften, Gottesdienste und
POSI T ION
Luther im Gartenzwergformat: Kunstaktion auf dem Marktplatz der Lutherstadt Wittenberg.
Luther in garden gnome format: an art campaign on the market square in Wittenberg.
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