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FRÜHJAHR 2013
zu sagen haben – nicht selten, weil sich ihr Blick über Diszi-
plingrenzen hinaus erstreckt.
EINBLICKE: Wenn man Ihre Vita liest – Psychiater, Medizin-
ethiker, Professor für Ideengeschichte – dann bekommt
man den Eindruck: Auch Sie bewegen sich zwischen den
Stühlen.
BORMUTH: Angefangenhabe ich inder Tatmit derMedizin, die
mich über erste Jaspers-Lektüren im Studium zur Psychiatrie
führte. Ich wollte die inneren Strukturen und Dynamiken des
psychisch kranken Menschen verstehen – bis ich mich über
die weitere Beschäftigung mit dem philosophischen Jaspers
fragte: Was bewegt
eigentlich „gesunde“
Menschen, welche
Ideen über ihr Leben und ihre Geschichte entwickeln sie in
Grenzsituationen? Eine Frage, die mich später dazu führte,
dem suizidalen Denken von Paul Celan, Ingeborg Bachmann
und Jean Améry nachzugehen. Das ist dann Forschung, die
sich notwendig zwischen Philosophie, Psychiatrie, Soziologie
und Literaturwissenschaft bewegt. Auf einem solchen Weg
zwischen den Disziplinen ist der Austausch mit Fachleuten
besonders wichtig.
EINBLICKE: Der Ideenhistoriker auch als Netzwerker?
BORMUTH: Ja, fast von selbst kommt es über Gespräche und
Briefe zu persönlichen Verbindungen, die nicht selten zur
näheren Bekanntschaft und Freundschaft führen und so neue
Verknüpfungen erlauben. Man selbst nimmt die integrieren-
de Rolle eines „Universaldilettanten“ ein, der locker im Netz
von Experten verwoben ist und natürlich auch den Rat von
Kollegen benötigt, die geübt sind, verschiedene Wissensper-
spektiven sinnvoll zu verknüpfen. Die Begegnungenmit ame-
rikanischen „Intellectual Historians“ war hierfür sehr hilfreich.
EINBLICKE: Wie sind Sie auf Jaspers gestoßen?
BORMUTH: Entscheidend war nach den ersten Lektüren der
Besuch bei Jaspers´ letztemAssistenten Hans Saner, der mich
in Basel inmitten der Bücher seines Lehrers empfing. Damals
hätte ich mir nicht träumen lassen, zwanzig Jahre später so
privilegiert zu sein, mit der Bibliothek in Oldenburg als For-
scher täglich umgehen zu dürfen. Sie hat für meinen eigenen
Weg zwischen Medizin und Philosophie eine besondere
Bedeutung.
EINBLICKE: Inwiefern?
BORMUTH: Hannah Arendt, die philosophische Schülerin von
Jaspers, fragt in einem Essay, was passiert, wenn wir denken,
und wo wir uns dabei befinden. Die Bibliothek kann diesen
imaginären Raum andeuten, ihn gleichsam materialisieren,
zumal in so schönen Räumlichkeiten. Jaspers sah sich selbst
im ständigen Dialog mit den großen Philosophen und ihren
Ideen, von Platon über Augustin bis hin zu Kant und Hegel.
Er verstand sich als Denker, der auf die Zeit einwirkt, aber ihr
nicht allein zugehört. Und zugleich offenbart seine Bibliothek,
wie sehr Jaspers die aktuellen Wahrheiten schätzte, die er in
Fragen zwischen den Disziplinen
Das Jaspers-Haus, mit Mitteln der EWE AG saniert und eingerichtet,
beherbergt auch zwei Wohnungen für künftige „Jaspers-Fellows“.
The Jaspers-Haus, restored and furnished thanks to EWE AG funds,
also houses two apartments for future “Jaspers Fellows”.
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