Frage, welche Funktion dem Jubiläum 2017 zukommt. Dient
es in erster Linie der eigenen konfessionellen Profilbildung,
oder kann es für ein ökumenisches Gedenken genutzt wer-
den? Zu Beginn der Dekade dachte man bei Besetzung der
Jubiläumsgremien und -initiativen kaum an Mitwirkende
aus anderen Konfessionen oder Ländern. Sie sind weder im
Kuratorium, noch imLenkungsausschuss vertreten. Immerhin
wurde ein katholischer Theologe für den Wissenschaftlichen
Beirat nachnominiert.
Das Spektruman Positionen ist auch in der katholischen Kirche
sehr weit. Es reicht von einer Ablehnunggemeinsamer Feiern –
mit der Begründung, dass eine Kirchenspaltungundder Verlust
der Kircheneinheit kein Anlass für Feierlichkeiten sei – bis hin
zudringendenMahnungen zur Verständigung. Die Thesendes
Magdeburger Bischofs Gerhard Feige rufen zu einem Versuch
auf, ein gemeinsames, konfessionsübergreifendes Verständnis
der Reformation und ihrer Auswirkungen zu gewinnen. Unter
Hinweis auf die Versöhnungsgeste zwischen katholischer und
orthodoxen Kirchen im Jahr 1965 fragt der katholische Bischof
im Kernland der Reformation nach einem konkreten Zeichen
der Buße und der Vergebung der getrennten Kirchen. Gemein-
same Erklärungen zum Verständnis der Reformation wurden
bereits von verschiedenenökumenischenGremien angekündi-
gt, wie etwa demLutherischenWeltbundgemeinsammit dem
päpstlichen Rat für die Einheit der Christen. Nach anfänglichen
Irritationen ist derzeit ein gemeinsamer Bußgottesdienst für
2017 als „heilende Geste“ zwischen der katholischen Kirche
und den protestantischen Kirchen in Planung.
In ökumenischer Perspektive gehört zu den pluralen Deu-
tungender Reformation auchdas katholische Verständnis einer
tragischen Glaubensspaltung und des Verlusts der kirchlichen
Einheit der Westkirche. Zum Gedenken gehört aber auch die
Folgegeschichte religiös motivierter Auseinandersetzungen
undKriege. DiedissentierendenprotestantischenBewegungen
– etwa die Täuferbewegung oder die Puritaner –, die von
katholischen und reformatorischen Obrigkeiten verfolgt und
marginalisiert wurden, verweisen auf einen anderen Zugang
zum Reformationsgedächtnis: die Schattenseite der religiösen
Konflikte wie Gewalterfahrungen, Zwangsmigrationen bis zu
HinrichtungenTausender Andersdenkender. Das Reformations-
jubiläum 2017 wird zudem in einer Gesellschaft stattfinden, in
der vielemit der christlichen Religion beziehungsweise den sie
repräsentierenden kirchlichen Institutionennichtmehr lebens-
weltlich verbunden sind. Hinzu kommt, dass auch das Selbst-
verständnis der Christinnen und Christen immer weniger von
den traditionellen konfessionellen Perspektiven geprägt wird.
Freiheitsraum Reformation
Vor diesem Hintergrund stellt das Projekt „Freiheitsraum
Reformation“ einen Versuch dar, zukunftsweisend an die
Reformation und ihre umfassende Wirkungsgeschichte zu
erinnern. Das Projekt der Universität Oldenburg bietet in
Kooperation mit vielen Partnern aus Wissenschaft, Kirchen,
Kultur undGesellschaft eine einzigartige Plattform für Schulen,
Bürgerschaft, Initiativen und Gemeinden. Um das Gesamt-
ereignis Reformation im Nordwesten und seine Bedeutung
für die Gegenwartsgesellschaft zu erforschen, nutzen die
Akteure innovative Wege der Vermittlung. In Konzerten, Vor-
trägen, Ausstellungen, Schulprojekten, Wissenschaftlichen
Tagungen und Exkursionen, aber auch in Theaterstücken,
Konzertgesprächen, Internetpräsentationen, Installationen
und Debattier-Runden thematisieren, analysieren und insze-
nieren sie unterschiedliche Aspekte der religiös-kulturellen
Pluralisierung. Das Projekt will die drängenden Fragen nach
religiöser Vielfalt und Toleranz, nach religiöser Zugehörigkeit
und der identitätsstiftenden Bedeutung von Religion und
kulturellen Werten aufwerfen. Es will Mut zu kritischem Hin-
terfragen machen und Menschen miteinander ins Gespräch
bringen. Mit diesem Ansatz wird das Reformationsjubiläum
zu einem „Freiheitsraum“ für gemeinsames Fragen, Erinnern
und kritisches Aneignen von Traditionen.