14
FRÜHJAHR 2013
Öffentlichkeitsarbeit – einschließlich diverser Luther-Devotio-
nalien –machtendie Jubiläen zugesamtgesellschaftlichenund
kirchlichen Ereignissen. Die erste landesweit inszenierte Jubi-
läumsfeier fand ein Jahr vor Ausbruch des 30-jährigen Krieges
statt. Sie diente den protestantischen Fürsten zur politischen
Profilierung. Die überlieferten Musterpredigten verweisen auf
antikatholische Stereotype und den Widerstand gegen die
innerprotestantische Pluralisie-
rung. Thomas Kaufmann, Kir-
chenhistoriker an der Universität
Göttingen, weist dem ersten Ju-
biläumsfest bereits jene „Lutherzentriertheit“ und kämpferisch
antikatholische Polemik nach, die sich später weiter verfestigte.
Im 18. Jahrhundert verloren die Jubiläumsfeierlichkeiten
wegen der konfessionellen Pluralisierung der verschiedenen
Herrscherhäuser vorübergehend an gesamtgesellschaftlicher
Bedeutung. Innerkirchliche Streitigkeiten etwa zwischen der
Frömmigkeitsbewegungdes Pietismus undder konfessionellen
Orthodoxie prägten nun die Gedenktage, die einen mehr
kirchlichen Charakter annahmen. Gleichzeitig bildete sich eine
aufklärerische Stilisierung Luthers als Vorkämpfer für Vernunft
und Glaubensfreiheit heraus. Im 19. Jahrhundert standen die
Lutherfeierlichkeiten im Zeichen nationaler Selbstfindungs-
prozesse und einer Deutung der Reformation als „deutsches
Urereignis“. Luther stieg zum Nationalhelden auf, der wie
kein anderer das „deutsche Volkstum“ verkörperte. Er galt als
eigentlicher Gründervater des Kaiserreichs. Seine Biographie
und sein Familienleben wurden zu Paradigmen bürgerlicher
Kultur- und Lebenswelten, so dass auch die Jubiläumsfeierlich-
keiten zu seinem400. Geburtstag1883nacheiner Formulierung
Hartmut Lehmanns als „Selbstbespiegelung des evangelisch-
deutschnationalen Bürgertums“ zu verstehen sind. 1917wurde
das Jubiläum zur Legitimation des Krieges genutzt und für die
nationalprotestantische Propaganda mit Durchhalteparolen
instrumentalisiert. Der Kieler Kirchenhistoriker GottfriedMaron
spricht in diesem Zusammenhang von einer „Materialschlacht
an der Heimatfront“. Im Kontext der damaligen Feierlichkeiten
erschienen antisemitische Pamphlete, die zur Trennung des
„deutschenChristentums“ von „jüdischen“ Einflüssen aufriefen.
1933, im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“,
wurde das GeburtstagsjubiläumLuthers politisch vereinnahmt
und eine „heilsgeschichtliche“ Linie zwischen demReformator
unddemDiktator gezogen. Weitere Stationenwarendie Jubel-
feiern 1946 unmittelbar nach demzweitenWeltkrieg und 1967
in der Umbruchsphase im Licht der ökumenischen Neuorien-
tierung des II. Vatikanischen Konzils. Der Antagonismus beider
deutscher Staaten schlägt sich beim Lutherjubiläum von 1983
nieder, das in der DDR eine Diskussion um die Aneignung des
Luthergedenkens im Rahmen des nationalen Erbes auslöste.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 2008 die Luther-
dekade ausgerufen. Sie dient der Vorbereitung des Jubiläums
2017. Die Konzentration auf die Person Luther ist besonders in
der innerevangelischen
Ökumene auf Kritik ge-
stoßen. Sie werde – so
der Einspruch – dem Gesamtereignis der Reformation nicht
gerecht. Es gehe umvielfältige reformatorische Bewegungen,
die vonWittenberg und Zürich ausgingen und über Genf nach
ganz Europa bis in die Neue Welt ausstrahlten.
Der verzweigteweltweite Protestantismus versteht sich insge-
samt als Aneignungsprozess der reformatorischen Botschaft
in den verschiedenen Kontexten und Zeitphasen. Die Refor-
mation ist daher mitnichten ein „deutsches Ereignis“, sondern
hat eine weltweite Dimension und Bedeutung. Das Jubiläum
2017 findet in einer durch eine multilaterale und plurale Öku-
mene geprägten Situation statt. Beteiligt sein werden nicht
nur die beiden großen Kirchen in Deutschland, sondern auch
die orthodoxen Kirchen und der vielgestaltige freikirchliche
Protestantismus. Unverzichtbar ist auchdieWahrnehmungder
europäischen sowie der – nicht zuletzt in Gestalt der vielen
Migrantenkirchen – globalen Perspektive.
Nach der Halbzeit der Lutherdekade stellt sich heute die
Jubiläen und ihre
Instrumentalisierungen
Eine Chance für die Ökumene?
Vom Sockel gehoben: Die Bronzestatue
Luthers von Gottfried Schadow und Karl
Friedrich Schinkel wird saniert.
Taken off its pedestal: the bronze statue
of Luther by Gottfried Schadow and
Karl Friedrich Schinkel is undergoing
restoration work.
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...40